Assessment-Center sind bei Personalern beliebt, bei Bewerbern gefürchtet. Auf einige Elemente des mittlerweile gängigen Auswahlverfahrens kann man sich gut vorbereiten, bei anderen hilft es, die eigene Persönlichkeit möglichst gut zu kennen. So kommen Sie gut durchs AC:
Kann es im Leben eines Bewerbers etwas Unangenehmeres geben als ein Vorstellungsgespräch? Ja, ein Assessment-Center. Für viele Jobeinsteiger ist der Unterschied, zwischen einem solchen Bootcamp für Bewerber und auf offener Flamme gegrillt zu werden, nur marginal. Im Assessment-Center (AC) ist es vielleicht nicht ganz so warm. Kalt lässt es trotzdem keinen. Eine Einladung zu solch einem speziellen Bewerbungsdate ist deshalb ebenso berüchtigt wie begehrt.
Ein Großteil der deutschen Konzerne nutzt mittlerweile diese Auswahlverfahren, ebenso wie zahlreiche Mittelständler. Die meisten Berufseinsteiger werden bei der Jobsuche also früher oder später Bekanntschaft damit machen. Das AC soll einem Unternehmen anhand verschiedener Perspektiven erlauben, einen Kandidaten einzuschätzen, der sich - zumeist in einer Gruppe - in komplexen Situationen unter Zeitdruck befindet.
Unter Dauerbeobachtung absolvieren Teilnehmer ein straffes Pensum: Fallstudien, Gruppendiskussionen, Intelligenz- und Persönlichkeitstests, praxisnahe Übungen und eine Selbstpräsentation sind Standards. Sie sollen das Potenzial von Menschen identifizieren, neben ihrem Fachwissen auch ihre Soft Skills und Stressresistenz zum Vorschein bringen. Wer sich hier wacker schlägt, rückt dem ersehnten Arbeitsvertrag ein gutes Stück näher. Wer eingeladen wird, schwankt also regelmäßig zwischen Freude und Grauen.
Die Elemente und Inhalte, aus denen ein Assessment Center besteht, variieren je Unternehmen und Stelle. Geht es zum Beispiel um eine Vertriebsposition beim Tiefkühl-Lebensmittelvertrieb Eismann, müssen Kandidaten mit der Simulation eines Verkaufsgesprächs rechnen. Bei IBM Research & Development erscheinen viele Elektrotechniker und Informatiker zum AC, die im späteren Job forschen und entwickeln - global und im Team. Da liegt es nahe, dass auf IT-Themen Bezug genommen wird. "Zum Beispiel kann es sein, dass wir Elemente virtueller Kommunikation in eine Übung einbauen", sagt Jens Poppe, Personalreferent bei IBM in Böblingen. Er begleitet viele ehemalige Praktikanten, Diplomanden und Werkstudenten, aber auch "externe" Bewerber durchs IBM Assessment Center - als einer der Beobachter, die den Teilnehmern bei ihren Aufgaben über die Schulter gucken. "In der Regel absolvieren sie erst Diskussionsrunden und Fallstudien, dann ein Personal- und schließlich ein Fachinterview. In einer früheren Übung sollten Kandidaten zum Beispiel im Team ein neues Konzept für eine Web 2.0-Community-Plattform entwickeln", berichtet der Personaler.
Folgende Elemente gehören zum Standardrepertoire eines ACs, aus dem sich Unternehmen nach Gusto ihr Programm zusammenstellen:
>>> Als eigentliches Herzstück gilt die Selbstpräsentation. Sie ist den anderen Teilen oft vorangestellt und dient dazu, einen Kurzabriss zur Person zu geben, der überzeugend und prägnant das Wesentliche wiedergibt. Wichtig dabei: Bei der Darstellung der Vita sollten immer Bezüge zum Unternehmen und zur Stelle hergestellt werden. Die Vorbereitung sollte nicht auf der Frage aufbauen "Wer bin ich?", sondern "Was bringe ich mit, das dem Unternehmen nützt, und wo habe ich das gelernt?".
>>> Gruppendiskussionen setzen Bewerber in direkten Vergleich zu ihren Mitbewerbern: 15 bis 45 Minuten lang diskutieren bis zu sechs Kandidaten über ein vorgegebenes Thema oder müssen übers Gespräch eine bestimmte Problematik lösen. Beispiel: Welche fünf Gegenstände soll die Gruppe - als sechs Überlebende eines Schiffsunglücks - vom schnell sinkenden Schiff retten. Pluspunkte sammelt ein Bewerber mit einer eigenen Meinung, argumentativem Geschick und einem sicheren Auftritt.
>>> Fallstudien konfrontieren die Teilnehmer mit typischen Branchenproblemen: Aus einer Menge abstrakter Daten müssen sie im Team oder auch schon mal alleine unter Zeitdruck - etwa 60 Minuten - relevante Daten herausfiltern, Konzepte und Lösungsansätze entwickeln und präsentieren. Den Beobachtern geht es dabei nicht nur um die Ergebnisse, sondern auch um das Agieren in der Gruppe und die Fragen: Wie nähert der Kandidat sich Problemen? Hat er eher einen Blick fürs große Ganze oder für die Details? Sind die Ideen und Lösungen visionär oder realistisch und bodenständig. Wichtig: Es gibt hier kein richtig oder falsch, nur ein "passt besser oder schlechter auf die Stelle".
>>> Rollenspiele werden vor allem bei Führungspositionen und Vertriebs- oder Servicejobs eingesetzt. Hier sollen dann (knifflige) Mitarbeiter- oder Verkaufsgespräche geführt werden.
>>> In Einzelvorträgen werden die Kandidaten mit einem beliebigen Thema oder Problem ausgestattet, das sie nach einer kurzen Vorbereitungszeit in einem Vortrag in vorgegebener Zeit vor der Gruppe beleuchten sollen. Anschließend kann eine Fragerunde folgen. Beispiel: "Stellen Sie die Vor- und Nachteile der demographischen Entwicklung dar und skizzieren Sie Lösungen."
>>> Mit Übungen und Tests werden analytische Fähigkeiten, Allgemeinbildung, Selbstbild, Arbeitsweise et cetera abgecheckt. Der Klassiker unter den Übungen ist der sogenannte Postkorb. Er verlangt dem Probanden Entscheidungsfreude und Strukturiertheit unter Stress ab. Beispiel: Sie sind Juniormanager, stehen zwei Tage vor Ihrem Urlaub und müssen noch viel erledigen. Ihr 18-jähriger Sohn hat mit dem Auto des Nachbarn gerade einen Unfall gebaut. Parallel ist es Ihr Job, das bevorstehende Großevent Ihrer Firma festzuzurren, leider ist aber gerade der entscheidende Hauptredner abgesprungen. Das ist zum Teil Ihre Schuld. Ihr Chef ist nicht im Haus, braucht aber am Folgetag eine dringende Präsentation. Dafür fehlen Ihnen noch alle Inhalte, zur Recherche wiederum fehlt die Zeit. Wie gehen Sie vor? Auch hier gibt es letztlich keine 100-Prozent richtige Lösung, auf die Sie kommen müssen. Ihre Ansätze können auch gerne innovativ und ungewöhnlich sein, müssen aber einem Realitätscheck standhalten können und sollten die Prioritäten richtig setzen. Den Griffel im Büro komplett fallen zu lassen und sich ausschließlich um den Sohnemann zu kümmern, ist bei aller Familienliebe genauso inadäquat wie ihn völlig auf sich gestellt schmoren zu lassen und sich nur aufs Büro zu konzentrieren.
>>> Der Part Interviews mit Personalern und Fachleuten erinnert am ehesten an ein normales Bewerbungsgespräch.
"Kandidaten sollten im AC aber auch in den Pausen zwischen den Übungen auf der Hut sein", rät Karrierecoach und Autor Martin Wehrle (siehe Interview). "Gerade in den vermeintlich unverfänglichen Situationen vor Beginn einer Aufgabe ist man im Check. Da heißt es dann aufmunternd als Regieanweisung: 'Einigen Sie sich doch mal kurz, wer beginnen soll', und Sie plappern munter drauflos, ohne zu überlegen, dass Sie da gerade begutachtet werden." Unterm Strich bedeutet das mehrstufige Auswahlverfahren für die Teilnehmer also mehrere Stunden kalkulierten Stress.
Beobachtet werden sie von Managern des Unternehmens und von Personalern. Sie alle registrieren Einsatzbereitschaft und Durchsetzungsstärke ebenso wie die Fähigkeit Einzelner, unter Stress Lösungen zu entwickeln, Aufgaben voranzutreiben, zwischen Streithähnen zu vermitteln - oder auch nicht. Ziel der Beobachter ist, am Ende des Tages einige Kandidaten ausgeguckt zu haben, die man sich als Mitarbeiter gut vorstellen kann - der Mehrheitsblick entscheidet.
Unvorbereitet geht heute kaum mehr ein Bewerber in ein AC. Und weil das so ist, kann man es sich auch nicht leisten, es einfach mal so auf gut Glück zu probieren. Schließlich muss man bei dem Termin die Konkurrenz ausstechen. Für inzwischen fast jeden Personenkreis gibt es im Buchhandel ausführliche Literatur über die Testszenarien. Auch im Internet kursieren detaillierte Erfahrungen von Ex-Kandidaten. "Wir wissen das - früher oder später landen die Inhalte jedes ACs im Netz", sagt IBMler Jens Poppe. "Wir nutzen Einzelinhalte unserer Assessment-Center deshalb nie lange." Welcher Baustein des AC im Verfahren wie gewichtet wird, will auch Poppe nicht verraten. Doch es gebe rechnerische Standards.
Als die drei größten Fehler im AC nennt Personaler Poppe absolute Unwissenheit übers Unternehmen - "Ich hatte mal einen Teilnehmer, der mir nicht mal sagen konnte, wofür die drei Buchstaben unseres Konzerns stehen" -, zweitens den Hang vieler Bewerber, Monologe ohne kernige Information zu halten und drittens das Vertrauen darauf, dass Ratgeberliteratur wirklich adäquat aufs AC vorbereiten kann.
Ratgeber-Literatur helfe zwar mit orientierendem Basiswissen, gibt auch Karrierecoach Wehrle zu bedenken, "doch der Rest ist Gruppendynamik". Wer eingeladen sei, solle im Vorfeld des Termins lieber konkret überlegen: Was genau bringe ich für die Stelle mit? Eine souverän gelöste Postkorbübung überrascht kaum einen Personaler. Eindruck macht, wer das eigene Profil im Laufe des kompletten AC schlüssig herausarbeitet. Und dabei hilft ein Ratgeber-Buch allein nicht wirklich weiter.
"Mein Ding war eindeutig die Gruppendiskussion", erinnert sich Felix K. (Name geändert), Key Account Manager bei einem Lebensmittelkonzern, an seine letzten Erfahrungen. Der Berliner Betriebswirt hat auf seinem Berufsweg bisher zwei Assessment-Center absolviert, eins bei einem Big Player der Elektronikindustrie, eines in der Lebensmittelbranche. "Ich habe einen Hang zum Moderieren, stecke mit meinen Ideen eher zurück und greife die anderer auf. Im Feedbackgespräch wurde das positiv beurteilt, doch je nach Stelle gilt es schlicht als mangelnde Durchsetzungsbereitschaft." Bei IBM-Personaler Poppe, der bereits über 50 ACs begleitet hat, kommt es gut an, wenn jemand in Gruppendiskussionen als Moderator eingreift, sobald jemand zu sehr das Wort an sich reißt. Damit zeige man, dass man in der Lage ist, störende Elemente einzudämmen und zur Gesamtlösung beizutragen.
Für den 32-jährigen König war sein gelassenes und vermittelndes Wesen ein Plus. "Als Übung bekamen wir zum Beispiel mal ein Schiebespiel vorgesetzt: Dazu bildeten wir zwei Vierergruppen, und jeder einzelne erhielt einen Satz Dreiecke, aus denen man ein symmetrisches Objekt legen konnte. Der Clou: Die passenden Gegenstücke waren bei den Mitspielern verteilt. Um sie zu kriegen, schob man ein passendes Teil in die Mitte und hoffte, ein anderer würde passend abgeben - gewinnen sollte das Team, das als erstes eine Figur komplett hat." König mutierte fast selbst zum objektiven Beobachter: "Es gab Leute, die bis zuletzt die eigenen Teile horteten, während ich in einer Situation, in der wir alle feststeckten, mal all meine Teile in die Mitte schob."
Eine typische AC-Aufgabe stellt Karrierecoach Martin Wehrle fest. "In solchen Übungen testen Personaler das Sozialverhalten. Jemand, der bereit ist, seine Teile herzugeben, gilt als nachgiebig, jemand, der bis zum Schluss auf seinem Vorteil beharrt, als kontraproduktiv. Sich irgendwo in der Mitte zu gruppieren, ist meist deutlich besser."
Es komme im AC darauf an, sich nicht einschüchtern zu lassen, sagt Felix König. "Hat man für eine Aufgabenstellung drei Minuten und merkt recht spät, man ist auf dem Holzweg, sollte man das zugeben. Vielleicht kriegt man eine zweite Chance, kann das Ruder herumreißen und von vorn beginnen. Personaler goutierten das. Man sollte nur klar kommunizieren." Verhuscht, ängstlich, scheu - das sind definitiv die falschen Eigenschaften fürs Assessment-Center.
Judith Schallenberg