Was Sie im Assessment-Center erwartet
Kaum ein Jobsuchender kommt heutzutage an einem Assessment-Center (AC) vorbei. Mit Hilfe von Rollenspielen, Fallstudien, Tests, Selbstpräsentation & Co. versuchen Unternehmen, hinter die Kulissen eines Bewerbers zu blicken. Im Gespräch mit Jobguide-Redakteurin Ulrike Heitze gibt AC-Trainerin und -Designerin Birgit Gerstgrasser Tipps, wie Bewerber den Seelen-Striptease gut hinbekommen.
Die Aussagekraft von ACs wird oft angezweifelt. Wie treffsicher ist diese Form der Bewerberauswahl?
Da beobachte ich zwei gegenläufige Trends: Mittlerweile richten zwei von drei Unternehmen ihre ACs speziell auf ihre Firma aus. Und viele sind dabei sehr professionell und kompetent, ebenso wie bei der Schulung der Beobachter. Das erhöht natürlich die Treffsicherheit bei der Mitarbeiterauswahl. Parallel dazu geht der Trend aber auch zu Stangenware: ACs, deren Anforderungen nicht spezifisch auf das Unternehmen abgestimmt werden und Manager, die kaum vorbereitet sind, ganz zu schweigen von tauglichen Auswahlprozessen dahinter. Bei Letzteren fallen dann auch an sich passende Kandidaten schnell mal durchs Raster. Für Bewerber ist das dann sehr schade, aber kaum zu ändern.
Gibt’s auch Positives zu berichten?
Viele gut konzipierte ACs gehen zum Beispiel dazu über, in den Gruppendiskussionen nicht mehr die Bewerber aufeinander loszulassen, sondern besetzen die Gruppe mit eigenen Leuten als Mitdiskutanden, die standardisierte Rollen übernehmen. Das ist positiv für Bewerber, weil sie nicht mehr so abhängig sind vom Verhalten der Konkurrenten. Ihre eigene Leistung kommt besser zur Geltung. Zudem ändern sich zunehmend die Themen, die Unternehmen in ACs einbauen.
Welche neuen Themen sind das?
Es geht immer öfter – neben den klassischen Anforderungen an Präsentation und Kommunikation – auch um aktuelle, unternehmensrelevante Themen wie Compliance oder Diversity. Die Unternehmen checken die Einstellung der Bewerber zu ihren firmeneigenen Werten ab.
Wie findet sich das konkret im AC wieder?
Da kann zum Beispiel im Interview gefragt werden: Wie gehen Sie damit um, wenn Ihr Chef sich nicht entsprechend der Unternehmenswerte verhält? Oder: Worin liegen Vor- und Nachteile von bunt besetzten Teams? Für Bewerber reicht es also nicht mehr, schlicht Präsentieren zu üben, sie müssen sich mit Inhalten auseinandersetzen und eine eigene Haltung dazu entwickeln.
Wie geht man mit solchen Fragen um?
Wie bei allen anderen Aufgaben im Assessment-Center ist eine gute Vorbereitung das A und O. Holen Sie so viele Infos über die Firma ein wie möglich, studieren Sie nicht nur Bilanzen und Geschäftspolitik, sondern auch die Unternehmenskultur und die Werte. Ist es ein eher tougher Laden oder eher soft? Schon die Stellenanzeige, die Homepage und Berichte in den Medien geben erste Hinweise. Das Wichtigste bei der Vorbereitung und im AC selbst ist, eine Passung zwischen sich und dem Unternehmen herzustellen. Was machen die? Was möchten Sie? Was bringen Sie mit? Und wie können Sie das im Termin entsprechend nach vorne stellen? Zugegeben, es ist immer schwer, über die eigenen Kompetenzen zu sprechen. Gerade als Berufsanfänger fehlt einem oft noch die Souveränität, sich selbst zu beurteilen.
Wie kommt man also zur Selbsterkenntnis?
Sprechen Sie mit anderen über sich. Fragen Sie Freunde und Bekannte, wie die Sie sehen. Lassen Sie sich berichten, was Sie in deren Augen gut können und was nicht – auch wenn es sich vielleicht nicht immer gut anfühlt, was diese zu sagen haben. Aber dadurch erhalten Sie wichtige Anhaltspunkte für Ihre Selbstpräsentation und auch für Ihre persönliche Weiterentwicklung. Allerdings sind Freunde naturgemäß nicht ganz objektiv. Daher gibt es für so etwas im Zweifel auch professionelle Berater, die neutraleres Feedback geben.
Wie bereite ich mich auf die Präsentation meiner Selbst vor?
Drehen Sie zum Beispiel mit einem Freund ein Video über sich selbst. Stellen Sie sich und Ihre Fähigkeiten einem fiktiven Personaler in wenigen Minuten vor. Und dann analysieren Sie das mit einem Feedbackgeber. Alle AC-Bausteine lassen sich im Vorfeld üben. Auch hier gilt aber, dass das Gegenüber immer erfahren in solchen Themen sein sollte, also zum Beispiel jemand, der schon länger im Job steht.
Wie bekommt ein unerfahrener Jobstarter Rollenspiele aus der Berufspraxis hin?
Üben, üben, üben. Wenn Sie sich für eine Stelle im Vertrieb bewerben, proben Sie mit jemandem, der sich auskennt, mal ein ernsthaftes Verkaufsgespräch und zeichnen Sie es auf Video auf. Das kann schon helfen. Und ganz wichtig: Keiner erwartet, dass Sie mit Mitte 20 schon alle Führungstechniken beherrschen, um zum Beispiel einen Endvierziger im Job in die Schranken zu weisen. So eine Aufgabe im AC können Sie nur spontan aus einem guten Gefühl für Menschen heraus lösen. Sie können die Herangehensweise aber schon mal im Rollenspiel üben: Sie sind der Chef, Ihre Eltern oder ältere Bekannte sind die Mitarbeiter. Versuchen Sie sich in die Situation einzufühlen: Was will ich, was will der andere? Wie kommt man zu einer Lösung?
Woran scheitern Bewerber im AC gerne?
Viele sind einfach schlecht auf das Unternehmen vorbereitet und liefern in ihrer Selbstdarstellung Einheitsbrei. Ein Unternehmen möchte verständlicherweise einen Kandidaten, der Feuer und Flamme ist. Es ist einfach dumm, wenn man seine Präsentation nicht an die Firma und ihre Werte anpasst und nicht zu erkennen gibt, warum man genau dort anfangen möchte. Sehr häufig scheitern Bewerber auch an ihren kognitiven Kompetenzen: Fachwissen wie etwa mathematisches Verständnis oder analytische Fähigkeiten sind wichtig für die Unternehmen – und werden tatsächlich abgeprüft. Zu guter Letzt kegeln sich viele raus, weil sie einen auf Mega-Chef machen, das Geschehen an sich reißen und zu übereifrig sind. Führungskompetenzen an den Tag zu legen ist prima, aber bitte keine Dominanz. Diese Unterscheidung müssen Bewerber im AC hinbekommen.
Ihr Tipp also für die Gruppendiskussion?
Viele glauben, im AC gehe es überwiegend um die Selbstdarstellung. Das stimmt so nicht. Sie müssen in erster Linie inhaltlich, methodisch und analytisch überzeugen. Also nicht nur nach vorne preschen und auf Teufel komm raus moderieren wollen.
Wie stark sollte man sich im AC verstellen?
Ich halte es für wichtig, authentisch und ehrlich zu bleiben. Sie sollen zwar nicht gleich mit Ihren schlechtesten Eigenschaften nach vorne preschen, aber sich komplett zu verstellen hilft keinem weiter, weder Ihnen noch dem Unternehmen. Es geht schief, wenn man eine Rolle spielt, nur weil man glaubt, dass diese oder jene Eigenschaft für die Stelle gefragt sein könnte. Denn selbst, wenn Sie damit durchkommen, müssen Sie das später auch im Job durchhalten. Das Geheimnis besteht darin, schon bei der Vorbereitung und im AC für sich selbst herauszufinden: Passe ich dahin oder müsste ich mich stark verbiegen? Fällt Ihr Urteil positiv aus, zeigen Sie sich natürlich von Ihrer besten Seite, aber Sie erfinden keine Facetten hinzu.
Das Gespräch führte Ulrike Heitze