„Stärken betonen, Schwächen kaschieren – wie beim Flirten“
Wer nach jahrelanger Berufspraxis im Personalauswahlprozess ein Assessment-Center durchlaufen muss, tut sich meist schwerer als ein junger Hochschulabsolvent, denn die Erfahrung mit Prüfungssituationen ist meist lange her und entsprechend schlägt die Nervosität zu. Da hilft nur gute Vorbereitung. Mit Karriere-Coach Martin Wehrle sprach Jobguide-Redakteurin Ulrike Heitze.
Assessment-Center werden bei Unternehmen immer beliebter. Warum ist das so?
In den Unternehmen herrscht derzeit die große Not, die richtige Auswahl bei Einstiegskandidaten und auch bei Aufsteigern zu treffen. Ein Fehlgriff kann viel Geld kosten. Deshalb versucht man, mit ACs die "Fehlerquote" zu senken.
Und gelingt das?
Selten. Viele ACs werden so dilettantisch umgesetzt, dass viele gute Kandidaten nicht erkannt und die falschen ausgesiebt werden. Mit dieser Tatsache müssen Bewerber leben.
Worauf achten Personaler in einem AC ganz besonders?
Unternehmen wollen durch ein Assessment-Center ermitteln, wer über die von ihnen geforderten Eigenschaften für eine bestimmte Position verfügt und in der Lage ist, genau das zu zeigen. Sie erwarten, dass Bewerber auch unter größtem Stress wissen, worum sie sich da bewerben. Nur wenn ich den Maßstab kenne, kann ich den Anforderungen genügen. Das machen sich AC-Teilnehmer viel zu selten bewusst.
Was heißt das konkret? Als Bewerber weiß ich doch, dass ich in Gruppendiskussionen überzeugen, Fallstudien schaffen, eine Postkorb-Übung und diverse Tests überstehen und mich selbst präsentieren muss.
Gewiss. Doch Personaler schauen strenger hin denn je. Sie wissen, dass Studenten schon im Studium Vorträge halten, reden, präsentieren und sich auf ein AC in der Regel sehr gut vorbereiten. Also achten sie verstärkt darauf, ob der Bewerber Persönlichkeit zeigt oder bloß versucht, eingeübte Muster anzubringen. Das entlarvt jemanden im AC als unflexibel. Sie stehen beim AC auf einer Bühne, aber Sie tragen keine Maske. Sie sind Sie selbst.
Was kann ein Bewerber tun, um sich ins rechte Licht zu rücken?
Zeigen Sie, dass Sie sich Gedanken gemacht haben. Halten Sie Maß. Reden Sie mehr von der Sache als von sich - zu viele hören sich selbst gern reden. Und übersteuern Sie nicht: Man kann auch zu freundlich sein. Jede Form von Extrem hat im AC nichts zu suchen. Nutzen Sie stattdessen Teile wie die Selbstpräsentation, um Brücken zum Unternehmen zu bauen: Die Selbstpräsentation ist der Türöffner, bringt den ersten Eindruck. Ein Kandidat, der da Bezüge zum Unternehmen herstellt und auch persönlich überzeugt, darf im weiteren Verlauf ruhig mal einen analytischen Fehler machen - wenn er das an anderer Stelle souverän wettmacht. Kriege ich zum Beispiel den quantitativen Teil einer Fallstudie nicht ganz hin, brilliere aber durch eine ungewöhnliche Lösung, verliere ich zwar einen Punkt im systematischen Denken unter Stress. Aber ich gewinne durch Kreativität. So etwas ist im späteren Berufsleben wertvoll.
Es wird oft geraten, sich bei ACs einfach so zu geben, wie man ist. Ein guter Rat?
Das ist Quatsch. Es wäre naiv, sich nicht zu verstellen. Sie müssen sich das wie beim Make-up vorstellen. Derjenige, der sich ungeschminkt unter lauter Geschminkte wagt, wird immer ein bisschen blass aussehen. Und überhaupt: Sobald man beobachtet wird, gibt man sich immer anders. Da ist niemand mehr so, wie er im Alltag ist.
Also doch eine Rolle spielen?
Sie sollen kein Theater aufführen, aber Ihre starken Seiten gezielt herauskehren und mit ihren schwachen ein bisschen hinterm Berg halten. Wie beim Flirten. Hinter die schlechten Angewohnheiten kommt das Unternehmen noch früh genug.
Was raten Sie zur Vorbereitung?
Man sollte sich zunächst wirklich mal klar machen, dass man hier eine Rolle zu spielen hat. Das ist das A und O. Und dann sollte man die Herzstücke eines ACs trainieren: die Gruppendiskussion und die Einzelpräsentation.
Wie trainiert man eine Gruppendiskussion?
Man schnappt sich Freunde, sucht sich aus der Zeitung ein aktuelles Thema und diskutiert es mit kontroversen Standpunkten. Zum Beispiel 'Schadet oder nutzt die Globalisierung der Weltwirtschaft.' Meist darf man in solchen Diskussionen seinen eigenen Standpunkt vertreten. Manchmal muss man aber auch einen vorgegebenen propagieren.
Wie ehrlich darf man dabei sein?
Wenn man seinen eigenen Standpunkt vertreten darf, kann der schon knackig und prägnant sein, aber nicht extrem. Wer in einer Hard Core-Unternehmensberatung auf absolute Work-Life-Balance besteht, muss sich über eine Absage nicht wundern.
Was ist in einer Gruppendiskussion tabu?
Allzu viel reden, nicht richtig zuhören und sich zwischendurch mal gedanklich aus der Diskussion verabschieden. Volle Konzentration ist Pflicht. Unterm Strich geht es darum, eine wichtige Rolle zu spielen, ohne die anderen zurückzudrängen und zu dominieren.
Sollte man auch die klassischen Postkorb-übungen etc. trainieren?
Die kann man sicherlich auch üben. Dann erwischen einen die Aufgaben nicht kalt. Aber der wesentliche Eindruck eines Kandidaten entsteht bei den Gruppen- und Einzelpräsentationen. Wenn man die trainiert, kann man den anderen etwas voraushaben. Postkorb üben alle.
ACs werden nicht nur für Berufseinsteiger veranstaltet, sondern auch, wenn es um den Aufstieg geht. Sind die anders?
Zum einen stellen die Rollenspiele sehr viel stärker auf Führungssituationen ab, simulieren zum Beispiel schwierige Personalgespräche. Zum anderen wird das Agieren in den Rollenspielen anders bewertet: Als Führungskraft muss man sehr initiativ rüberkommen, richtungweisend, entscheidungsfreudig, dominierend - kurz: nicht so geschmeidig wie ein Einsteiger.
Was sind klassische Fehler von Managern in einem Aufstiegs-AC?
Selbstüberschätzung. Aufstiegskandidaten werden in der Regel in ihrer Abteilung gehypt, bekommen deshalb kein ordentliches, kritisches Feedback mehr. Selbsterkenntnis gehört nicht mehr zu den Stärken. Viele glauben, sie huschen auf dem Weg nach oben mal eben durchs AC. Auf eine gründliche Vorbereitung wird deshalb gerne verzichtet. Und das rächt sich dann.
Ihr Tipp zum Schluss?
Versuchen Sie nicht, Ihre Schwächen zu stärken. Betonen Sie Ihre Stärken. Spielen Sie die aus. Alles andere funktioniert nicht.
Das Gespräch führte Ulrike Heitze