Nicht das Gelbe vom Ei
Mit der Einführung von Bachelor- und Master-Abschlüssen sollte eigentlich alles besser werden. Doch Studenten fragen sich, wie sie ihre Praktika im straffen Zeitplan unterbringen sollen, Unternehmen rätseln, was sie mit den "neuen" Absolventen anfangen können und unter den Dozenten gibt es erste, die entnervt ihren Dienst quittieren wollen. Ein Professor und ein ehemaliger Student setzen sich kritisch mit dem System auseinander.
Herr Meyer, Sie lehren an verschiedenen deutschen Universitäten. Wie sehen Sie die aktuellen Entwicklungen bei Bachelor und Master?
Sehr kritisch. Durch die recht grobe Umrechnung der bisherigen Studieninhalte auf credit points ist zum einen das Niveau des Studiums deutlich gesunken - was den Studenten im internationalen Wettbewerb nicht wirklich weiter hilft.
Zum anderen zeichnen sich die neuen Studiengänge nun durch eine schlichte Aneinanderreihung von Kursen aus. Eintrichtern, abprüfen, vergessen. So spannt man doch keinen sinnvollen Bogen über ein Studium.
Was bedeutet das für die Studenten?
Die müssen sich den roten Faden für ihr Fach und die Zusammenhänge zwischen den einzelnen Themen selbst herleiten. Eigentlich sollte das neue System ein effizienteres Studieren ermöglichen, jetzt ist aber eher ein effizienteres Lehren daraus geworden.
Was meinen Sie mit "effizienterem Lehren"?
Durch das Zerhacken und Verteilen von Inhalten auf einzelne Kurse brauchen die Unis eigentlich keine aufwendigen Lehrapparate mehr vorzuhalten, sondern können die Einzelthemen einfach an Dozenten outsourcen, die dann die einzelnen Wissenshäppchen vermitteln - in oft zweifelhafter Qualität.
Ein hartes Urteil für die Kollegen...
Aber es stimmt leider allzu oft. Zum einen werden die Inhalte der einzelnen Kurse nicht aufeinander abgestimmt. Im schlimmsten Fall gibt es für jedes Fach einen eigenen Dozenten. Die Unis legen wenig Wert darauf, dass ein Bogen zwischen den Veranstaltungen gespannt wird. Zum anderen darf mittlerweile jeder halbwegs Fachkundige lehren, egal, ob er die didaktischen Fähigkeiten dazu besitzt oder nicht. Die Hauptsache ist, dass er die Hochschule wenig oder gar kein Honorar kostet.
Wie reagieren die Studenten auf die neuen Spielregeln?
Die Studenten werden durch das neue System animiert, Wissen anzuhäufen statt eine kritische Denke zu entwickeln. In der Praxis bedeutet das, dass sie sich aufs Punkte sammeln konzentrieren. Es geht nur noch darum, einen Schein zu bekommen und idealerweise noch Kontakte in die Wirtschaft abzugreifen. Das eigentliche Handwerkszeug für ein Thema verliert für die Studenten an Wert.
Was bedeutet das unterm Strich für ihre Arbeitsmarktchancen?
Das Studium ist verschulter geworden und wird durch die Einzelkurse immer spezialisierter. Vernetztes Denken und Urteilskraft bleiben da eher auf der Strecke. Ich habe in der Praxis viel mit mittelständischen Unternehmen zu tun und die benötigen beispielsweise eher generalistisch ausgebildete Mitarbeiter - die sie über dieses System aber immer weniger bekommen.
Glauben Sie, dass das Kinderkrankheiten sind und dass sich das mit der Zeit bessert?
Nein, ich sehe das nicht als Startschwierigkeiten eines neuen Systems. Das würde ja voraussetzen, dass die Bereitschaft besteht, wieder etwas zu ändern. Aber an der Dozentensituation will man ja zum Beispiel gar nicht rütteln. Lehren gilt als schick, macht sich gut in der Vita. Also werden die Unis weiter auf Leute zurückgreifen können, die sich gerne vor eine Klasse stellen, auch wenn sie dafür gar nicht ausgebildet sind.
Herr Brummund, wie zufrieden sind Sie mit den neuen Bachelor- und Master-Studiengängen?
In der Summe hat das neue System bestimmt viele Vorteile. Ein Bachelor-Abschluss ermöglicht einem bei Bedarf zum Beispiel einen schnelleren Einstieg ins Berufsleben. Vieles im neuen System ist gut gedacht, aber handwerklich schlecht umgesetzt.
Wo hakt es zum Beispiel?
Die Standardisierung von Studiengängen, die einem eigentlich helfen sollte, zwischen Bachelor und Master die Hochschule zu wechseln, ist schlecht gemacht. Jede Uni legt die Anforderungen und Inhalte an ihren Master selbst fest. Und das passt dann oft nicht zu den Bachelor-Inhalten, die man mitbringt. Selbst innerhalb einer Hochschule ist diese Schnittstelle nicht immer glatt geregelt und es kommt zu Brüchen. Das macht einem den Wechsel nicht gerade leicht.
Wie könnten Studenten so etwas in den Griff bekommen?
Indem sie sich frühzeitig Gedanken über ihre Masterpläne machen und zügig überall erfragen, was für Kurse, Scheine und Inhalte sie mitbringen müssen. Dann haben sie Zeit, sich was einfallen zu lassen und mögliche Lücken zu schließen. Fallen ihnen die erst in der Bewerbungsphase für den Master auf, kostet sie das womöglich zusätzliche Zeit.
Auf welche Hürden stoßen Studenten noch?
Beim Bachelor-System kann man sich systembedingt keine Auszeiten leisten. Jede Prüfung zählt, um später an den Master seiner Wahl kommen zu können. Das ist ein enormer Druck. Gerade für Erstsemester, die sich ja erstmal an der Uni orientieren und ihren Rhythmus finden müssen. Ich glaube, das machen sich viele Studenten nicht so klar.
Was könnten Studierende dagegen tun?
An der Tatsache selbst können sie nicht viel ändern, aber sie können gleich vom Start weg versuchen, ihr Studium trotz aller vorgegebenen Strukturen sinnvoll zu planen. Und sie sollten sich zeitlich nicht unter Druck setzen. Es bringt einen nicht um, wenn man für den Bachelor ein Semester länger braucht. Lieber eines mehr investieren und mit guten Noten abschließen, als just in time fertig werden mit miserablen Zensuren.
Wo müssen Studenten noch aufpassen?
Beim Timing für die Master-Bewerbungen. In Deutschland folgt der Master in der Regel direkt auf den Bachelor - ohne eine Berufstätigkeit dazwischen. Das bedeutet, dass es bei der Bewerbung zeitlich oft sehr eng mit Zeugnissen und Noten wird. Besonders tricky ist das bei vorgeschalteten Auslandsaufenthalten. Bis man da alle Unterlagen beisammen hat, hat man schnell eine Frist versäumt. Ein Student braucht heutzutage immer eine gewisse Weitsicht.
Welche Kinderkrankheiten im neuen System werden sich Ihrer Meinung nach schnell geben?
Das Problem, dass sich Praktika derzeit noch schlecht ins Studium und die kurzen Ferien einbauen lassen, wird sich meines Erachtens bald lösen. Die ersten Unternehmen und Hochschulen arbeiten ja schon an entsprechenden Kooperationen. Und der Umstand, dass die Arbeitgeber noch nicht so viel mit Bachelor-Absolventen anzufangen wissen, wird sich mit der Zeit wohl auch geben. Bei anderen Schwachpunkten bin ich nicht so optimistisch.
Welche meinen Sie?
Zum Beispiel das schon angesprochene Problem der fehlenden Übergänge. Damit es aktiv angegangen wird, muss erst eine nennenswerte Zahl von Bachelor-Studenten Probleme gehabt haben und sich beschweren. Dann wandert das Thema in die Ausschüsse, erfordert eine Neuauflage der Studienordnung et cetera et cetera. Das dauert Jahre.
Interview: Ulrike Heitze