Auf ins vernetzte Industriezeitalter
2016 rechnet der deutsche Maschinenbau mit einem Nullwachstum der Produktion. Um sich für Industrie 4.0 fit zu machen, braucht die Branche trotzdem jede Menge Ingenieure und IT-Fachkräfte.
Dem deutschen Maschinen- und Anlagenbau geht es nicht gut. Aber auch nicht schlecht. Seit fünf Jahren tritt Deutschlands Vorzeigeindustrie mehr oder weniger auf der Stelle. Mit einem Anteil von 16 Prozent an der Weltmaschinenausfuhr verteidigen die deutschen Maschinen- und Anlagenbauer zwar wacker ihre Pole Position als weltweit größtes Maschinen-Exportland. Zugleich erleben sie jedoch schon seit geraumer Zeit, was die Entwicklung der Auftragseingänge, Umsätze und Marktanteile in einer stagnierenden Weltwirtschaft angeht, eine beunruhigende Seitwärtsbewegung, die scheinbar kein Ende nehmen will.
So legte der deutsche Maschinenbau 2015 zwar einen Rekordumsatz von beeindruckenden 218 Milliarden Euro hin. Ein Zeichen von Stärke und Stabilität. Doch „richtig rund lief die Nachfrage nach Maschinen dennoch nicht“, wie Reinhold Festge, Präsident des Verbandes Deutscher Maschinen- und Anlagenbau (VDMA) im Frühjahr 2016 feststellte. Und für 2016 prognostizierten die VDMA-Volkswirte daher auch erneut eine Stagnation der realen Produktion. „Die weltweite Nachfrage nach Maschinen und Anlagen kommt nicht in Fahrt. Wir müssen weiterhin auf konjunkturelle Wachstumsimpulse verzichten“, sagt Festge.
Das Ausland spielt eine wichtige Rolle
Fakt ist: In der Branche herrscht Unruhe. Denn im Heimatmarkt Deutschland selbst wird wenig investiert. Sie ist also auf Gedeih und Verderb von einem weiter gut laufenden Exportgeschäft abhängig. Fast 80 Prozent der heimischen Produktion liefern die rund 6.390 überwiegend mittelständischen Maschinen- und Anlagenbauer ins Ausland. Immer spannender wird dabei die Frage, wo genau hin. Hauptabnehmer – bezogen auf Regionen – sind die europäischen Nachbarn: Mehr als jeden zweiten Umsatzeuro erwirtschaften die deutschen Maschinenbauer mit dem Export ins europäische Ausland. Daneben entpuppten sich 2015 erstmals seit 2008 wieder die USA als wichtigstes Absatzland mit einem Anteil von 10,8 Prozent an den deutschen Maschinenausfuhren, noch vor China, dessen Markt sogar um 5,9 Prozent nachgab. Mexiko stieg mit einem Plus von mehr als 40 Prozent zum wichtigsten lateinamerikanischen Markt auf, noch vor dem einstigen Schwellenländer-Star Brasilien. Wie vielen anderen Rohstoffländern bescherten bröckelnde Preise dem Amazonasstaat den Absturz. Das Russland-Geschäft – 2013 noch viertwichtigster Handelspartner – brach um fast 27 Prozent ein. Die europäischen Nachbarländer hingegen zeigten sich stabil: Mit den EU-28 steigerten die deutschen Maschinenbauer ihr Geschäft um 6,7 Prozent.
Große Hoffnungen setzen die deutschen Maschinenbauer in den kommenden Jahren auf eine weiterhin starke Nachfrage aus den USA. In dem Bewusstsein, mit der Fertigung auch die Arbeitsplätze ins billigere Ausland verlagert zu haben, schob US-Präsident Barack Obama im Zuge einer „intelligenten Industriepolitik“ die Modernisierung der Fabriken voran. Die deutsche Maschinenbaulobby trommelt jetzt für einen erfolgreichen Abschluss von TTIP. Das Freihandelsabkommen könnte dazu führen, dass kleine und mittelständische Betriebe leichteren Zugang zum US-Markt bekommen. Wegen doppelter Zertifizierungen und unterschiedlichen Qualitätsstandards verteuern sich derzeit noch deutsche Produkte im Maschinenbau durchschnittlich um rund 46 Prozent. Allein schon der Wegfall der Zölle würde zu einer jährlichen Kostenersparnis von 1 Milliarde Euro führen.
Handelspartner China
Trotz der Konjunkturabkühlung in China wird das Reich der Mitte auch weiter ein bedeutender Absatzmarkt für deutsche Maschinen bleiben. Für 2016 rechnet der VDMA zwar noch einmal mit rückläufigen Exporten nach China. Einen drastischen Einbruch erwartet die Branche derzeit allerdings nicht. Im Mai 2015 kündigte die zweitgrößte Volkswirtschaft der Welt zwar an, in den nächsten zehn Jahren im Eiltempo zum führenden Hightech-Anbieter avancieren zu wollen. Diese staatlich verordnete Qualitätsoffensive birgt für die deutsche Maschinenbauzunft Chancen wie Risiken. Für die Modernisierung und Automatisierung größerer Industrieanlagen wird China Premium-Produkte und intelligente Serviceleistungen benötigen, was eine Domäne deutscher Anbieter ist. Gleichzeitig gilt es für kleinere Firmen, die sich für die Produktion eben nur preiswertere Angebote leisten können, nicht einfach abgespeckte Hightech-Produkte, sondern passgenaue Lösungen anzubieten. „Da die Mitarbeiter in China weniger gut ausgebildet sind, sind deren Firmen bereit, für eine einfachere Bedienbarkeit und sich selbstoptimierende Geräte mehr Geld zu bezahlen“, sagt Oliver Horlebein, Partner der Unternehmensberatung Arthur D. Little.
Die Erfolgsaussichten sind allerdings nicht in allen der fast 40 Teilbereiche der Branche gleich gut. So geht die deutsche Photovoltaik-Industrie von einem deutlichen Aufschwung aus. Mit Wachstum rechnen auch die Großanlagenbauer, die Hersteller von Werkzeugmaschinen, insbesondere die von Präzisionswerkzeugen, die Hersteller von Baumaschinen und Baumaschinenanlagen sowie die Branche der Druck- und Papiertechnik. Glänzende Perspektiven winken nicht zuletzt den Herstellern von Robotik und Automation.
Vernetzung ist das Schlüsselwort
Technologisch befindet sich die gesamte Maschinenbaubranche durch die digitale Vernetzung, die Robotik und auch Big Data im Umbruch. Ganze Wertschöpfungsketten werden sich durch Industrie 4.0 verändern. Eine Maschine liefert jeden Tag Millionen Daten. Daraus lassen sich Rückschlüsse ziehen und neue Geschäftsmodelle entwickeln, die den Kunden helfen, ihre Produktion Tag für Tag zu optimieren. So gibt es zum Beispiel Sensoren, die anhand von Daten und Geräuschen frühzeitig den Verschleiß einer Anlage erkennen und selbstständig einen Techniker rufen. Industrie 4.0 meint die Vernetzung aller Bereiche einer Produktion und sogar über Unternehmensgrenzen hinweg, also etwa mit Lieferanten, Kunden und Logistikdienstleistern.
In wenigen Jahren schon sollen vernetzte Maschinen und so genannte Cobots – zur Collaboration fähige Industrieroboter, die nicht mehr nur einfache Arbeiten erledigen, sondern auch andere Maschinen bedienen und mit Menschen zusammenarbeiten können – in den Fabriken Standard sein. Schon seit längerem versuchen Internetunternehmen wie Microsoft, Cisco & Co. mit ihrem Wissen über Datenverarbeitung und Datenanalysen in die Welt der Produktion vorzudringen. Das hat etliche Industrieunternehmen in Deutschland geweckt, die nun ihrerseits versuchen, mit ihren Kenntnissen der Steuerungstechnik, der Produktion und des Anlagenbaus in die Welt der Daten und des Internets vorzudringen, um ihre Maschinen und Produkte über das Internet zu verknüpfen. Jetzt müssen also auch die so genannten Hidden Champions aus dem Mittelstand umdenken. Denn selbst für langjährige Weltmarktführer wird es nicht mehr lange ausreichen, einzelne Maschinen oder Bauteile zu verkaufen. Die Zukunft liegt in Systemlösungen und der intelligenten Vernetzung der Produktion.
Kooperation von Mensch und Maschine
Menschenleeren Fabriken wird es trotz Industrie 4.0 in Zukunft nicht geben. Für die Vernetzung von Maschinen in IT und das Schnittstellenmanagement über die Unternehmensgrenzen hinaus braucht die Branche Fachleute. Hier wird der Bedarf weiter steigen. Die eher einfachen, standardisierbaren Tätigkeiten werden dagegen mehr und mehr von vernetzten Maschinen erbracht werden.
Tiefe Kenntnisse über das Internet der Dinge, Robotik, mobile Geräte wie Tablets und Wearables, Big Data und Sensoren werden in den nächsten Jahren zu den Stellenprofilen gehören, weil sie zur Bewältigung des Arbeitslebens in Konstruktionsbüros und Fabrikhallen einfach dazugehören werden. Dazu kommt das Wissen um den Umgang mit Big Data, also die Analyse von Maschinendaten und das Bewusstsein für den Datenschutz. Mit über einer Million Arbeitsplätzen ist der Maschinenbau bereits heute größter industrieller Arbeitgeber in Deutschland. Und das soll bis auf Weiteres auch so bleiben. Nach Erhebungen des VDMA will die Branche die Zahl der Beschäftigten in den kommenden Jahren mindestens halten – vielleicht sogar noch steigern. „Das wird ein Null-Summenspiel“, sagt Hartmut Rauen, Vize-Hauptgeschäftsführer des VDMA. „Denn Industrie 4.0 wird unsere Wettbewerbsfähigkeit verbessern und damit auch neue Jobs schaffen“.
Julia Leendertse