Adieu Warenhaus, eine Ära geht zu Ende. Die Zukunft gehört Spezialisten mit passgenauen Angeboten, den Discountern - und Händlern, die die Klaviatur des Mehrkanalvertriebs beherrschen.
>>>Chancen
Bei Akademikern hat der Handel ein ziemliches Imageproblem. Diese Branche sei nichts für sie, denken viele, denn schließlich hätten sie nicht jahrelang studiert, um dann Regale einzuräumen. Seit Jahrzehnten versuchen die großen Handelsunternehmen in Deutschland, diese Vorurteile durch Aufklärung zu bekämpfen. Zu Recht weisen sie darauf hin, dass nur wenige Branchen für Akademiker so hervorragende Aufstiegschancen bieten wie der Handel. Das liegt auch daran, dass es im Handel immer noch weniger Akademiker gibt als in vielen Dienstleistungsbranchen. Wer studiert hat und fachlich wie menschlich was drauf hat, wird hier schnell Bereichsleiter oder trägt Verantwortung für Qualitäts- oder Category-Management.
Einen Teil ihres Image-Problems haben die Handelsunternehmen sich allerdings selbst zuzuschreiben: Sie sind verschwiegen, ihre Top-Manager reden öffentlich kaum über ihre Strategien und spannenden Projekte, denn die Konkurrenz kriegt alles mit und der Wettbewerb ist mörderisch. Verdrängung heißt das Spiel in der Branche und die Nervosität der Unternehmen ist groß.
Der große Wettbewerbsdruck ist aber auch die große Chance für Jungmanager, die schnell viel lernen wollen. Hier ist man so nah am Kunden wie sonst nirgends, weiß fast alles über ihr Verhalten, ihre Bedürfnisse und Gewohnheiten. Hier ist höchste Professionalität und Konsequenz im Marketing, im Einkauf und in allen unternehmerischen Prozessen gefragt, denn sonst sind Marktanteile schnell gefährdet. Wer also bei einem der großen Handelsunternehmen lernt, kriegt in kurzer Zeit ein reiches Know-how über Märkte und Marken und die inneren Geheimnisse des Einzelhandels und Konsumgütergeschäfts - also ein Know-how, nach dem sich jedes Markenartikelunternehmen die Finger leckt. Nicht umsonst ist bekannt, dass Unternehmer im Konsumgütergeschäft ihren Kindern raten: "Steig bei einem Händler ein, da lernst du alles."
Die besten Chancen haben Nachwuchskräfte derzeit bei den Discountern, denn denen fliegen seit Beginn der Krise die Käufer-Herzen ganz besonders zu. Und da entstehen auch Chancen auf internationale Karrieren, denn die Discounter wachsen weltweit, ganz besonders aber in Ländern, in denen die Immobilienkrise heftig zugeschlagen hat. In Großbritannien zum Beispiel legte Aldi Süd die mit Abstand höchste Wachstumsrate hin und eröffnet 2009 in den USA zusätzlich zu seinen 990 Filialen noch weitere 75. Erhebliche Wachstumspotenziale für den Handel sieht dieUnternehmensberatung A.T. Kearney in einer Mehrkanalstrategie: Während der stationäre Handel nahezu stagniere mit einem Umsatzplus von 1,5 Prozent im Jahr 2008, sei mit dem Vertrieb über Kataloge, Internet und TV bis 2010 ein jährliches Plus von acht Prozent drin. 2007 lag der Umsatz in diesen drei Kanälen bei 29 Milliarden Euro, 2012 soll das auf 44 Milliarden Euro steigen, sagen die Berater und würde damit einen erheblichen Anteil am Umsatz haben, der 2008 bei über 400 Milliarden Euro lag.
Dass das Multichannel-Konzept auch im Lebensmitteleinzelhandel funktioniert, beweist Tesco: die britische Kette wickelt bereits heute 250.000 Bestellungen pro Woche ab. Unternehmen, die die Erweiterung ihrer Vertriebskanäle auf der Agenda haben, brauchen vor allem Logistik-Experten, die den Wandel managen müssen von der Paletten- zur Paketlogistik.
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>>>Risiken
Während die Discount-Händler derzeit die Profiteure der Krise sind, gilt das nicht für den gesamten Handel. Zwar hat die schlechte Konjunktur dem Handel bisher weitaus weniger zugesetzt als der Industrie und manchen Dienstleistern, aber die Branche hat auch am Aufschwung in den vergangenen Jahren nicht so teilgenommen wie die anderen Sektoren der Wirtschaft. Mit Wachstumsraten von einem oder eineinhalb Prozent im Jahr hat sie selbst in guten Zeiten real eher verloren. Zudem ist die Eigenkapitaldecke im Handel durchschnittlich dünn und nicht ohne Grund kam es zu den spektakulären Pleiten von Hertie, Sinn/Leffers, Wehmeyer und Pohland. Sie zeigen, dass die Ära der großen Kaufhäuser zu Ende geht und das Schicksal der deutschen Tante-Emma-Läden inzwischen auch größere Handelsunternehmen trifft. Auch der Essener Arcandor-Konzern kämpft mit hohen Verlusten. Und Metro - der größte in Deutschland und auch global einer der namhaften Player - hat ein Restrukturierungsprogramm aufgelegt, das weltweit 15.000 Stellen kostet.
Klar ist: Sobald die Arbeitslosenzahlen nach oben gehen, wird die Wirtschaftskrise den Handel noch treffen. Und das sind dann wie immer Zeiten, in denen Schwache schwächer und Starke stärker werden. Der Kampf wird dann noch härter über Verdrängung und Konsolidierung geführt. Seit Anfang der 90er Jahre beherrschen die sechs deutschen Handelshäuser Metro Group, Rewe, Schwarz-Gruppe (Lidl), Tengelmann, die Genossen der Edeka und die Aldi-Brüder den Lebensmittel-Einzelhandel. "1999 gab es noch acht große Handelsketten in Deutschland, die gemeinsam über einen Marktanteil von 70 Prozent verfügten", sagt Bernhard Heitzer, Chef des Bundeskartellamtes. "Heute teilen sich die fünf führenden Vollsortimenter und Discounter 90 Prozent des Marktes." Also schaut Heitzer genau hin, wenn wieder einmal Große noch größer werden wollen. Nur unter harten Auflagen gab die Behörde grünes Licht für die Fusion von Plus und Netto, die damit hinter Aldi und Lidl auf Platz drei der Discountergiganten aufrücken.
Aber selbst wenn die Übernahme von deutschen Wettbewerbern an Grenzen stößt, so kann die Konsolidierung auch von außen getrieben werden: Interessant sind deutsche Handelshäuser auch für strategische Investoren aus der Welt-Oberliga des Handels - Wal-Mart, Carrefour, Tesco, Ahold - sowie für Finanzinvestoren, die eine immer größere Rolle spielen. (jul/ae)