Risiken
Noch immer gibt es mehr Anwälte als Arbeit. Das war schon vor der Krise so als die 70 großen Juristenfabriken mit jeweils mehr als 50 Rechtsanwälten den Markt stark anheizten. Sie erzielen zusammen 20 Prozent des Branchenumsatzes und bestimmen stark die Spielregeln im Rekrutierungsgeschäft. Vor allem konnten sie es sich in den vergangenen Jahren leisten, eine Vergütungsschlacht auszutragen. Mit Einstiegsgehältern von 100.000 Euro und mehr köderten sie unter den 10.000 Absolventen jedes Jahres die besten 500 Kandidaten mit Doktor- oder LL.M-Titel. Dabei standen sie nicht nur untereinander, sondern auch mit Unternehmensberatungen und Rechtsabteilungen von Großunternehmen in Konkurrenz.
Inzwischen ist die Krise allerdings bei den international operierenden Kanzleien angekommen. Clifford Chance will die Zahl seiner Partner weltweit verringern, eine Maßnahme, die für die renommierte Law Firm völlig neu ist. Keiner der Partner habe ?jemals so viel Unruhe im Markt gesehen?, sagte der Managing Partner David Childs dem Branchenblatt Juve.
Gleiches geschieht bei Allen & Overy: Weltweit sollen 47 Partner, rund 100 Associates und 200 Support-Kräfte gehen, weil die Auftragslage es erzwingt. Außerdem hat Allen & Overy, ebenso wie Freshfields Bruckhaus Deringer, die Gehälter eingefroren. Es gebe derzeit einfach nicht genug Mandate, sagen beide Kanzleien. Bei Freshfields, schreibt Juve, treffe das auch die 420 Associates an den sechs deutschen Standorten, die zwischen 90.000 und 135.000 Euro verdienten.
Auch bei Linklaters läuft ein weltweites Restrukturierungsprogramm, bei dem zu Jahresbeginn noch nicht klar war, wieviel davon in Deutschland ankommen wird. Und Norton Rose geht ab Mai 2009 auf Kurzarbeit, die wahlweise als Teilzeit oder Sabbatical umgesetzt werden kann.
Rückläufig ist bei diesen Großkanzleien das Transaktionsgeschäft. Börsengänge gibt es schon lange keine mehr und auch die Zahl der großvolumigen Übernahmen und Zusammenschlüsse schrumpft. Die größte deutsche Sozietät mit mehr als 500 Anwälten, CMS Hasche Sigle, legte offen, dass bei ihr der Anteil großer Käufe oder Verkäufe, bei denen es um mehr als 100 Millionen Euro geht, im 1. Halbjahr 2007 noch rund 25 Prozent des Geschäfts ausmachte und ein Jahr später nur noch acht Prozent.
Bei 90 Prozent der Transaktionen geht es allerdings um ein Volumen von bis 100 Millionen Euro. Und auch dieses Segment, ebenso wie das der Mega-Deals über 500 Millionen Euro, ist inzwischen in Mitleidenschaft gezogen. ?Die Unsicherheit durch die Finanzkrise hat sich verstärkt?, sagte CMS-Gesellschaftsrechtler Thomas Meyding dem Handelsblatt. Vor allem die Finanzinvestoren seien vorsichtiger geworden.
Was jedoch den Rückgang abmildert ist: Um die Deals wird härter gekämpft, die Käufer diktieren die Vertragsbedingungen. Das macht viel Arbeit, vor allem den Anwälten.
Für Top-Kandidaten bedeutet das: Selbst sie müssen derzeit mit erschwerten Einstiegsbedingungen rechnen. Und auch beim Aufstieg sind weiter gute Nerven und eine Topgesundheit nötig, denn bei den Branchenriesen ist eine 60-Stunden-Woche die Regel und Wochenendarbeit Usus. Selbst wer einmal den Sprung in die Vollpartnerschaft geschafft hat, habe diesen Status nicht wie früher für die Ewigkeit, sagt Personalberater Professor Thomas Wegerich von Gemini Executive Search. Heute stehe Profitabilität an erster Stelle und ?ein Mittel, dieses Ziel zu erreichen, ist es, umsatzschwächeren Partnern den Equity-Status abzuerkennen.?
Wer kein Topexamen hat, schlägt sich oft als Einzelkämpfer durch oder geht in kleine Bürogemeinschaften ? ein Knochenjob auf Hartz-IV-Niveau, sagt die Bundesrechtsanwaltskammer: Wer sich heute selbstständig mache, bringe im Schnitt gerade mal 1.531 Euro nach Hause, von denen nach Abzug aller Kosten nur 576 Euro zum Leben übrig blieben. Wer eine Sozietät gründe, könne mit 1.548 Euro im Schnitt rechnen und behalte sogar nur 198 Euro übrig. Und bei Bürogemeinschaften bleiben von 1.105 Euro monatlich 212 Euro als Gewinn. Ein sicheres Auskommen haben Juristen in kleineren bis mittelgroßen Sozietäten oder Unternehmen: Hier liegt der Mittelwert in der Autoindustrie bei 59.860 Euro, die Chemie zahlt 53.500 Euro, wie die Vergütungsberatung Personal Markt Services ermittelte. Und bei Behörden werden immerhin noch knapp 40.000 Euro im Jahr gezahlt. Julia Leendertse/Annette Eicker