Die Einzelhändler sind so optimitisch wie seit zehn Jahren nicht mehr. Während ihr Filialgeschäft nur verhalten wächst, realisieren sie inzwischen im Internet traumhafte Wachstumsraten. Entsprechend stark gesucht sind ITler und Logistiker.
>>>Chancen
Der reinste Online-Boom ist neuerdings ausgebrochen bei den Handelsunternehmen. Jahrelang hatten sie das Thema nur mit der Kneifzange anfassen wollen, sich vor den Risiken gefürchtet, doch nun ist eine breite Welle ins Rollen gekommen. Ob Kleidung, Hi-Fi-Anlagen, Waschmaschinen oder neuerdings auch Wurst und Wein, das Geschäft über das Internet läuft glänzend: 39,2 Milliarden Euro gaben die Verbraucher in Deutschland 2010 über das Web aus. Das entspricht einem Wachstum von 14 Prozent.
Vergleicht man das mit den anderthalb Prozent Wachstum, die in den Einkaufsmeilen erzielt wurden, ist klar, warum jetzt plötzlich alle in Goldgräber-Stimmung verfallen. Es ist nicht nur das Ende der Wirtschaftskrise, das derzeit den Online-Handel treibt, auch der Boom bei den Smartphones und den Tablet-PCs trägt eine Menge dazu bei. Aktiv im Online-Handel sind zum einem die Mode-Filialisten wie Esprit und Hennes & Mauritz, Zara, Gucci, Armani und Zegna aber auch Elektrohändler wie ProMarkt, die neben ihren Läden das Internet als zweiten Vertriebskanal nutzen. Fast zwei Drittel dieser Unternehmen, die auf beide Kanäle setzen, machen inzwischen den größten Teil ihres Umsatzes im Web.
Und dann gibt es da die Anbieter, die sowieso schon im Versandhandel tätig waren, so wie Deutschlands größter Versandhändler Otto, der über das Netz seine Marktstellung im Einzelhandel kräftig ausbaut. Der Versandhandel der Hamburger legte 2010 um gut zwölf Prozent zu.
Mehr als ein Fünftel der Handelsunternehmen glaubt einer Ebay-Studie zufolge, dass er ohne den zusätzlichen Online-Handel überhaupt nicht überlebt hätte. In diese Kategorie gehört vermutlich auch der Otto-Konkurrent Neckermann, über dem bis vor Kurzem noch der Pleitegeier kreiste und der dank des Internets von den Toten auferstand. Neckermanns Internetgeschäft bestreitet inzwischen zwei Drittel des Firmenumsatzes und wuchs 2010 um stattliche 30 Prozent.
Die dritte Gruppe der Online-Händler sind die, deren Heimat immer schon das Internet war. Neben den Online-Spezialisten für jedes menschliche Bedürfnis, das man sich nur denken kann, entwickeln sich Generalisten heraus nach dem alten Kaufhof-Prinzip "Alles unter einem Dach". Allen voran Amazon, der größte Online-Händler der Welt, der längst kein Media-Händler mehr ist, sondern von weißer Ware (Haushaltsgeräte) über braune Ware (Unterhaltungselektronik) und Babywindeln bis zu Lebensmitteln neuerdings alles verscherbelt.
Am besten Tag des Jahres 2010, dem 13. Dezember, schreibt das Handelsblatt, hätten die Amazon-Kunden über die deutsche Seite 2,1 Millionen Produkte bestellt, 400.000 mehr als im Jahr zuvor. 6.000 zusätzliche Saisonkräfte musste das Unternehmen einstellen, um des Weihnachtsgeschäftes Herr zu werden.
Mit dem Einstieg in den Lebensmittelhandel hat sich Amazon in ein Feld vorgewagt, das die großen Lebensmittelhändler bislang nur äußerst zaghaft betreten, wenn überhaupt. In Ländern wie der Schweiz und Großbritannien boomt das Geschäft der virtuellen Supermärkte schon seit Jahren. Hier sitzt der Kunde gemütlich am PC, klickt sich seine Lebensmittelbestellung zusammen und bekommt alles bequem nach Hause geliefert. Deutschlands Lebensmittelriesen haben Angst vor der mangelnden Zahlungsbereitschaft der knausernden Deutschen und den großen logistischen Herausforderungen solcher Services. Wenigstens aber basteln sie inzwischen an ersten Pilotprojekten herum. Dabei hat wahrscheinlich die größten Chancen auf baldige Realisierung das "Drive-in"-Konzept, bei dem der Kunde über das Netz bestellt, dann aber die bestellte Ware selbst abholt. Nachdem der französische Lebensmittel-Riese Leclerc es vorgemacht hat, experimentieren nun auch Rewe und Real damit.
Insgesamt ist ein Ende des Online-Wachstums der Händler nicht in Sicht. Eine Studie des Produktvergleichs-Portals Kelkoo kommt zu dem Schluss, dass im deutschen Online-Einzelhandel bis Ende 2011 ein Umsatz in Höhe von 45,1 Milliarden Euro zu erwarten ist. Dies würde einen weiteren Zuwachs von 15 Prozent bedeuten.
Für die Karriereentwicklung von Akademikern bedeutet der Trend zum Online-Handel, dass sich Unternehmen, die die Erweiterung ihres Versand- und Internethandels auf der Agenda haben, auf das Know-how von Informatikern, Wirtschaftsinformatikern, Vertriebs- und Marketingexperten, Logistikern und auf das Internetrecht spezialisierte Juristen stützen müssen. Die Nachfrage nach ITlern und Logistikern aus dem Handel zeichnet sich bereits deutlich ab.
Ein zweiter wichtiger Trend in der Handelsbranche ist die Nachhaltigkeit. Während in der Energiewirtschaft durch Fukishima der Druck in Richtung Erneuerbare Energien enorm gestiegen ist, vollzieht sich im Handel eine ganz ähnliche Entwicklung: Hier sind es die vielen Lebensmittel- und Sozial-Skandale, die die Verbraucher sauer gemacht haben - egal, ob es um rüden Umgang mit Mitarbeitern ging, vergammeltes Fleisch oder Dioxin in Eiern.
Doch während der Handel auf dem Ohr lange taub war, hat er nun erkannt, dass Nachhaltigkeit ein Thema ist, mit dem man sich neue Glaubwürdigkeit erwerben kann. So haben die Vorstände das Thema nun zur Chefsache gemacht. Unter anderem installierte der Marktführer Metro einen "Nachhaltigkeitsrat", dem Vorstandschef Eckhard Cordes selbst vorsitzt und beim Wettbewerber Rewe gab Vorstandschef Alain Caparros eine "Leitlinie für nachhaltiges Wirtschaften", heraus: Weltweit verfolgt der Konzern 350 Nachhaltigkeitsprojekte und Lieferanten verpflichten sich mittlerweile vertraglich, ihre Produkte nachhaltig anzubauen.
Das könnte auch dazu beitragen, das Imageproblem zu lindern, das der Handel als Arbeitgeber traditionell bei Akademikern hat. Diese Branche sei nichts für sie, dachten viele, denn schließlich hätten sie nicht jahrelang studiert, um dann Regale einzuräumen. Seit Jahrzehnten versuchen die großen Handelsunternehmen in Deutschland daher, diese Vorurteile durch Aufklärung zu bekämpfen. Zu Recht weisen sie darauf hin, dass nur wenige Branchen für Akademiker so hervorragende Aufstiegschancen bieten wie der Handel.
Das liegt auch daran, dass es im Handel mit einem Anteil von fünf bis sieben Prozent immer noch viel weniger Akademiker gibt als in vielen Dienstleistungsbranchen. "Doch die Akademisierung und Technisierung von Standardabläufen schreitet auch im Handel stetig voran", sagt Wilfried Malcher, Bildungsexperte beim HDE Handelsverband Deutschland. Wer studiert hat und fachlich wie menschlich was drauf hat, wird hier schnell Bereichsleiter, trägt Verantwortung für Qualitäts- oder Category-Management bis hin zur Personalentwicklung oder kümmert sich um die Steuerung von Filialen.
Mit der nächsten Hierarchiestufe ist dann gerade bei den Ketten bereits regionale, landes- oder gleich bundesweite Verantwortung verbunden. Mehr noch: Wer hier klare Kante zeigt und Erfolg hat, dem steht auch der Aufstieg in das Top-Management offen.
Einen Teil ihres Image-Problems haben die Handelsunternehmen sich allerdings selbst zuzuschreiben: Sie sind verschwiegen, ihre Top-Manager reden öffentlich kaum über ihre Strategien und spannenden Projekte - ein Ausdruck des großen Wettbewerbsdrucks.
Genau dieser ist aber auch die große Chance für Jungmanager, die schnell viel lernen wollen. Hier ist man so nah am Kunden wie sonst nirgends, weiß fast alles über ihr Verhalten, ihre Bedürfnisse und Gewohnheiten. Hier ist höchste Professionalität und Konsequenz im Marketing, im Einkauf und in allen unternehmerischen Prozessen gefragt, denn sonst sind Marktanteile schnell gefährdet. Wer also bei einem der großen Handelsunternehmen lernt, kriegt in kurzer Zeit ein reiches Know-how über Märkte und Marken und die inneren Geheimnisse des Einzelhandels und Konsumgütergeschäfts - also ein Know-how, nach dem sich jedes Markenartikelunternehmen die Finger leckt.