Herr Neumann, Herr Prof. Dr. Malkwitz, wie viel Wachstum darf Deutschland erwarten in den Megatrend-Feldern, die Fraunhofer identifiziert hat?
Neumann: Ganz ehrlich? Megatrends hin oder her. 2010 hält die Krise die deutsche Industrie noch fest im Griff. Ingenieure sind zwar die ganze Zeit gefragt, aber erst wenn 2011 der Exportmarkt wieder anspringt, wird das den Jobmarkt insgesamt wieder vorantreiben. Bis 2015 werden dann aber gerade die Branchen, die jetzt als besonders angeschlagen gelten - Auto, Maschinenbau, Elektrotechnik, Telekommunikation sowie Gesundheitswesen und Touristik - für bis zu 854.000 neue Stellen sorgen. Hinzu kommen bis zu eine Million neue Jobs im Dienstleistungssektor. Denn eins ist heute schon sicher: Neben Marketing, Personalarbeit und IT werden die Unternehmen in den nächsten Jahren auch die Forschung und Entwicklung verstärkt outsourcen.
Bedeutet das, dass deutsche Ingenieure in Zukunft verstärkt in Brasilien, Russland, Indien und China ihre Arbeit erledigen?
Malkwitz: Richtig. Quer durch alle Branchen braucht die Industrie dringend Ingenieure, die sich in Konsumenten und Industriekunden in Indien, China oder auch Lateinamerika hineindenken können - egal, ob es um Waschmaschinen geht, die in besonders kleine Wohnungen passen, Meerwasserentsalzungsanlagen für die Trinkwassergewinnung oder Turbinen für Staudammprojekte. Der Ingenieurjob wird noch internationaler. Von dieser Entwicklung profitiert am Ende aber auch die deutsche Wirtschaft: Wer hätte zum Beispiel vor kurzem gedacht, dass deutsche Automobilzulieferer vom Trend zum Super-Billig-Auto (Ultra Low Cost Car) profitieren würden? Jetzt liefert Bosch die Bremsen für das indische Billigfahrzeug Tata Nano, Continental die Benzinpumpen und ZF Friedrichshafen die Antriebswellen. Der Absatz solcher Billigautos wird gigantisch steigen: von derzeit rund 2,5 Millionen auf 15,4 Millionen Fahrzeuge pro Jahr.
Wie schnell werden die deutschen Autohersteller denn beim Elektroauto den Technologievorsprung der Japaner aufholen?
Malkwitz: Schneller als viele meinen. Das Elektroauto wird in spätestens zehn Jahren Standard sein und deutsche Ingenieure maßgeblich an der Fortentwicklung der dafür notwendigen Antriebs- und Batterietechnik sowie an Leichtbauwerkstoffen wie Kunststoff beteiligt sein. Allein die Ionen-Lithium-Batterie birgt einen Milliardenwachstumsmarkt. Im Wettlauf um die leichteste, kleinste, sparsamste Speichertechnologie mit der größten Reichweite haben die Deutschen ganz gute Karten.
Apropos Speichertechnologie: Wie ist es denn um die Innovationskraft der Deutschen in puncto Energietechnik bestellt?
Malkwitz: Im Energiesektor sind die Deutschen technologisch im Moment noch in vielen Bereichen führend. Ein schönes Beispiel ist das erste solarthermische Kraftwerk der Welt, das 2009 in Jülich bei Köln ans Netz gebracht wurde: Hunderte Spiegel leiten dort Sonnenstrahlen auf die Spitze eines Turms. Das erhitzt die Luft im Turm auf bis zu 900 Grad Celsius, es entsteht Wasserdampf, den ein Generator zu Strom macht. Solarthermie aus Deutschland ist weltweit nachgefragt - beim Bau von Solarthermieparks wie dem Projekt Desertec in der Sahara genauso wie in Asien, wo Industrieunternehmen in Zukunft im großen Maßstab Turbinen solarthermisch antreiben werden. Gefragt sind auch deutsche Windkraftwerke - on- wie offshore - und die deutsche Technologie, die hilft, den CO2-Ausstoß von Kohlekraftwerken zu reduzieren.
Wann wird die Speichertechnologie bereit stehen, um das Geschäft mit der Elektromobilität anzukurbeln? Und wer wird hier führend sein?
Neumann: Elektromobilität wird ab 2020 zum Multi-Milliarden-Markt werden. Unternehmen, die intelligente und bezahlbare Lösungen entwickeln, gewonnene Energie zu speichern, gehören künftig zu den ganz großen Gewinnern. Wer das sein wird, ist noch die große Preisfrage. Nicht nur für Elektroautos spielen Speicher eine zentrale Rolle, auch in der Solartechnik und in mobilen Endgeräten. Hier sind enorme Technologiesprünge zu erwarten. Die Deutschen sind da gut aufgestellt. Vielleicht gelingt es, Teile der Batterieproduktion, die mittlerweile fast komplett in Asien ist, wieder zurückzuholen.
Welche Themen werden Elektrotechnik, IT und TK ansonsten beschäftigen?
Neumann: Der Trend zu mehr Energieeffizienz und Klimaschutz wird die Elektrotechnik in den nächsten Jahren treiben. Große Wachstumschancen bieten sich deutschen Hightechunternehmen auch weiter im Wachstumsfeld Embedded Software. Und deutsche Softwareanbieter sind einfach ungeschlagen, wenn es darum geht, Software mit Anwendungen im Maschinenbau und in der Autotechnik zu verbinden. Für neuen Schwung auf dem Arbeitsmarkt wird auch der Ausbau der Breitbandtechnologie sorgen. Hier wird mit rund einer halben Million neuer Jobs gerechnet.
Die Breitbandoffensive wird aber doch weniger zu Arbeitsplätzen bei den Telekommunikationsanbietern selbst führen als in anderen Branchen?
Neumann: So könnte es kommen, wenn den Telekommunikationsanbietern keine neuen Geschäftsmodelle einfallen. Die Margen in der Telefonie schmelzen dahin. Neues Wachstum entsteht dafür bei neuen Webservices. Das kann ebenso eine spannende Applikation fürs Handy sein wie der Notfallservice für herzkranke Patienten, die zu Hause ihren Blutdruck messen, die Sauerstoffsättigung, den Herzrhytmus und Blutzuckerspiegel und die Daten dann per Internet an ein telemedizinisches Servicedienstleister zum Check weiterleiten. Von der flächendeckenden Breitbandverkabelung werden aber auch die Bauindustrie profitieren, die Kreativwirtschaft sowie das Verwaltungs- und Gesundheitswesen.
Und welche Rolle wird das Thema Gesundheit wirtschaftlich für Deutschland spielen?
Malkwitz: Das Gesundheitswesen hat die Krise weitgehend unbeschadet überstanden. Langfristig werden die Wohlstandskrankheiten, die sich aus der Vorliebe vieler Menschen zum Süßen und Ungesunden erklären, weiter für Wachstum sorgen. Bei Biotechfirmen - so rechnen wir - wächst bis 2013 die Zahl der Beschäftigten von 30.000 auf 32.000. In der Medizintechnik von 170.000 auf 184.000. Die Aussichten für Fachkräfte sind hierzulande wie weltweit rosig.
Das Gespräch führte Julia Leendertse