Branchenporträt Finanzdienstleistung

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Das ganz große Reinemachen

Euro- und Finanzkrise sowie strengere Eigenkapital-Vorschriften durch Basel III zwingen die Finanzbranche, sich völlig neu zu erfinden: Die Banken brauchen mehr Kapital und müssen Risiken abbauen. Allenthalben werden Geschäftsbereiche auf den Prüfstand gestellt und in großer Zahl Stellen abgebaut. Investiert wird im Privat- und Firmenkundengeschäft.  

Die Chancen:

Als Rekrutierer haben sich die deutschen Banken in den vergangenen Jahren sehr zurückgehalten. Zwar haben sie ihre Trainee-Programme weiterlaufen lassen und Azubis ausgebildet, aber im Professional-Segment wurde ansonsten vor allem nach handverlesenen Spezialisten gesucht.

Mitte 2010 setzte jedoch eine Belebung ein und im Sommer 2011 gab es laut „Frax“, dem Jobmarkt-Index der Finanzbranche, 43 Prozent mehr Stellen als im Vorjahr. Was jedoch das Qualifikationsniveau der gesuchten Kandidaten angeht, lässt sich feststellen, dass die Anforderungen steigen. Das ist typisch für die Situation nach einer Krise: Wenn in der Baisse Personal abgebaut wurde, steigen mit dem Wiederbeginn des Recruitings die Anforderungen an die Passgenauigkeit und Qualifikation der Bewerber.

Zum Jahreswechsel 2012 zeigt sich nun (siehe Tabelle), dass die Zahl der 2011 ausgeschriebenen Positionen nur unwesentlich höher lag als 2010. An einen großartigen Ausbau der Recruiting-Aktivitäten denkt in der Branche derzeit kaum jemand. Viele Finanzdienstleister bauen entweder Stellen ab wie die Landesbanken, haben Einstellungsstopp wie die Commerzbank oder sind in abwartender Haltung, weil die nahe Zukunft der Finanzmärkte so viel Unsicherheit birgt.

So verlegt man sich darauf, die Nachwuchs-pipeline aus den Schulen und Unis zu füllen und pickt sich ansonsten mit spitzen Fingern ausgesuchte Spezialisten aus dem Markt. Dabei geht der Trend ganz klar zur Akademisierung. Weil viele leitende Mitarbeiter in naher Zukunft in den Ruhestand gehen, nutzen die Institute die Gunst der Stunde zum Upgrading. Gesucht sind überwiegend akademisch gebildete Fach- und Führungskräfte mit Experten-Know-how auf den Gebieten, die die Branche derzeit bewegen: vom Risikomanagement über Spezialwissen zu Erneuerbaren Energien oder ausländischen Wachstumsmärkten bis hin zu Wissen über mobiles Internet und IT-Sicherheit.

Nicht nur Kandidaten mit einem Hintergrund aus den Wirtschaftswissenschaften sind deshalb gefragt, sondern auch Informatiker, Naturwissenschaftler und bisweilen Ingenieure und Geisteswissenschaftler, die Produkte entwickeln, Risiken analysieren und Entwicklungen frühzeitig erkennen können.

Fakt ist: Die Bankenlandschaft mit ihren rund 660.000 Beschäftigten ist im Umbruch. Die Euro- und Finanzkrise hat zutage gefördert, dass viele Banken ihre Geschäftsmodelle neu erfinden sowie an ihrer Wettbewerbsfähigkeit, ihrer Kapitalstruktur und nicht zuletzt an ihrer Größe arbeiten müssen.

Letzteres gilt vor allem in Europa. „Im Vergleich zu den Vereinigten Staaten haben wir in Europa nur ganz wenige Banken von Weltrang“, sagt Martin Reitz, Deutschland-Chef des Bankhauses Rothschild. Und das gilt insbesondere für Deutschland, wo die Deutsche Bank der einzige Player ist, der auf der Weltbühne ein Wörtchen mitzureden hat. Konsequenterweise ist ein Thema auf der Tagesordnung der großen europäischen Banken die weitere Internationalisierung des Geschäfts. Die Aussichten dafür seien nach der Krise „grundsätzlich günstig“, schreibt die Deutsche Bank Research in ihrer Analyse im Spätsommer 2011: „Angesichts besserer Wachstumsperspektiven und einer niedrigeren Verschuldung dürften westliche Banken weiter in den Schwellenländern investieren, besonders in Asien und Lateinamerika.“

Eine große Herausforderung sind für die Branche die durch Basel III und US-Gesetz Dodd-Frank gestiegenen Eigenkapitalanforderungen. „Die höhere Kapitalunterlegung nötigt die Banken zur Disziplin und zwingt sie zu einer Portfoliobereinigung“, meint Eva Dewor von der Beratungsgesellschaft Accenture.

Dieser Prozess ist bereits in vollem Gange. Überall stellt die Branche derzeit ihre Geschäftsfelder auf den Prüfstand, um sich von allem zu trennen, womit kein Geld verdient wird. Das hält Rothschild-Chef Martin Reitz ohnehin für fällig, denn vor allem mittelgroße europäische Banken seien in viel zu vielen Geschäftsfeldern vertreten: „Das ist nur wenig profitabel.“

So wirft bei der Deutschen Bank zum Beispiel die Vermögensverwaltung zu wenig Gewinn ab. Daher steht nun das gesamte Großkundengeschäft mit institutionellen Anlegern zur Disposition, genauso wie die Vermögensverwaltung in Immobilienanlagen und Hedgefonds. Auch die Commerzbank, die sich eine harte Schrumpfkur – zunächst ohne Stellenbau – verordnet hat, denkt darüber nach, ihre Staats- und Immobilienfinanzierungstochter Eurohypo aufzuspalten.

Im Fokus der strategischen Überprüfung steht vor allem das Investmentbanking. Die UBS zum Beispiel zog sich Ende 2011 aus dem Rennen um einen Platz unter den fünf größten Investmentbanken der Welt zurück, weil sie keine Chance mehr sieht, hier zu gewinnen. Die Sparte soll von 18.000 Mitarbeitern auf 16.000 schrumpfen und sich in Zukunft auf die Abwicklung von Kundenaufträgen und Beratung konzentrieren sowie der Vermögensverwaltung zuarbeiten.

Hoffnungen verknüpft die Branche mit dem weiteren Ausbau des Firmen- und Privatkundengeschäfts – zu dem Ergebnis kommt der „Branchenkompass 2011 Kreditinstitute“ von Steria Mummert Consulting. „Um die Kunden zu halten, gilt für die Institute, aktiver um sie zu werben als bisher und sich als kompetente Finanzberater zu etablieren“, sagt Kompass-Autor Stefan Lamprecht.

Die Institute stellten deshalb bis 2014 die Finanzberatung von Firmen- und Privatkunden in den Mittelpunkt aller Investitionsaktivitäten. Gleich zwei Drittel der 100 größten Kreditinstitute Deutschlands, stellt Steria Mummert fest, wollten in den nächsten drei Jahren nennenswerte Investitionen in die Finanzberatung für Firmenkunden stecken.

Wenn es bei den Geschäftsbanken schwierig wird, finden Fachleute mit Bank-Know-how Ausweichmöglichkeiten zum Beispiel in der sehr krisenfesten Leasingbranche. Die hatte 2011 ein Wachstum von über elf Prozent und für 2012 rechnet der Bundesverband Deutscher Leasing-Unternehmen (BDL) mit einer weiteren, positiven Entwicklung. „Aktuell findet ein vorsichtiger Aufbau von Personal im Vertriebsbereich statt“, sagt BDL-Geschäftsführer Horst Fitter. „Neben Mitarbeitern mit betriebswirtschaftlichem Hintergrund braucht die Branche Spezialisten, die Leasingobjekte bewerten, Wertverläufe prognostizieren und Verkäufe vorbereiten.“ Meldungen über Stellenabbau bei Banken freuen die Leasingunternehmen daher. Sie hoffen, dass ihren dadurch gute Leute zur Tür hereinspazieren.

Die Risiken:

Rund um den Globus sind Banken derzeit dabei, in riesigen Zahlen Mitarbeiter abzubauen.  Werden alle Ankündigungen in die Tat umgesetzt, fallen allein bei den Großbanken in den nächsten Jahren weit mehr als 100.000 Arbeitsplätze weg. Mit dramatischen Abbau-Plänen machen die global agierenden Amerikaner von sich reden: Allein die Bank of America will 30.000 Jobs streichen, aber auch die Citigroup plant, 4.500 Stellen abzubauen und Morgan Stanley eliminiert 1.600 Positionen, der größte Stellenabbau der Investmentbank seit Beginn der Finanzkrise 2008/2009.

Die großen europäischen Player stehen dem allerdings in nichts nach. Die britische HSBC, weltweit eine der ganz Großen, will bis 2013 30.000 Stellen in Europa abbauen, die Lloyds Banking Group 15.000 Jobs, die Royal Bank of Scotland 2.000 und Barclays 3.000. Auch die Credit Suisse machte Schlagzeilen, weil sie nicht nur 2.000 wie bisher geplant, sondern jetzt 3.500 Leute loswerden will.

Im Vergleich dazu fallen die Massaker-Listen deutscher Geldinstitute vergleichsweise moderat aus: Die Deutsche Bank streicht 500 Stellen, vor allem im Investmentbanking, bei ihrer Tochter Postbank sollen 1.500 Mitarbeiter, bei der BHF bis 2012 rund 270 der derzeit 1.300 Stellen wegfallen. Die Hypovereinsbank (HVB) plant bis 2013, allerspätestens bis 2015, knapp 700 bis 1.000 von 3.700 Jobs zu streichen, während bei ihrer italienischen Mutter Unicredit im gleichen Zeitraum 5.200 Stellen dem Rotstift geopfert werden.

Auch durch die Übernahme der Dresdner durch die Commerzbank verschwinden 9.000 Stellen. Und bei den Zentralbanken des Sparkassen-Sektors geht die lange hinausgezögerte Bereinigung weiter: Die WestLB wird bis Mitte 2012 zerschlagen, wodurch bis zu 1.800 der 4.500 Arbeitsplätze wegfallen, bei der HSH Nordbank stehen 900 der 3.300 Stellen auf der Kippe und auch bei der BayernLB sind Jobs gefährdet.

Heißt im Klartext: Wer sich im Banking weiterentwickeln will, muss heutzutage doppelt und dreifach prüfen, für welches Bankhaus er sich entscheidet. „Die Wahrscheinlichkeit, dass Wettbewerber aus dem Markt ausscheiden oder sich zusammenschließen, ist in unserer Branche größer denn je“, warnte Deutsche-Bank-Chef Josef Ackermann im Herbst 2011.

Jede dritte Bank wollte sich Ende des Jahres 2011 gar nicht erst zu der Marktentwicklung äußern: Sie halten Prognosen für unmöglich, weil sie die künftige Entwicklung der Finanzlandschaft als unvorhersehbar ansehen. Beispiel Finanztransaktionssteuer: Die Europäer wollen sie, um die Märkte besser zu kontrollieren, die USA lehnen sie strikt ab. Sollte sie aber kommen, so wäre absehbar, dass der Markt sich umkrempelt und Geschäfte dort abgewickelt werden, wo diese Steuer nicht anfällt.

Julia Leendertse/Annette Eicker

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