Der schönste Apfel
- Foto: JMG/ Pixelio
Der Erfolg von Marketing ist längst messbar geworden. Das bedeutet das Ende von Bauchentscheidungen zu Gunsten intensiver Kennzahlen-Analysen. Der wachsende Einfluss von Controllern gefällt nicht jedem.
Den Apfel neu erfinden? Die Bio-Branche hat das geschafft. Juliet heißt der knackig-süße Star aus Frankreich, den es nur im Bio-Anbau gibt. Fest im Biss, rot-grün in der Farbe und lange lagerbar – Lebensmittelhandels Liebling hatte in den vergangenen beiden Jahren die höchsten Zuwachsraten bei den Anbauflächen.
Ein Marketingerfolg, mit dem Megatrend „Nachhaltigkeit“ als Ausgangspunkt. Experten analysierten die Zielgruppe der „Lohas“.„Lohas“ steht für „Lifestyle of Health and Sustainability“, für Menschen, die sich Gesundes gerne etwas mehr kosten lassen. Ihnen züchteten Gärtner mit Juliet ein wiedererkennbares Produkt, das alle Zweifel daran zerstreut, ob das teuer erkaufte Bio-Label tatsächlich auch auf biologisch wertvoller Nahrung klebt. Webseite, PR-Informationen, Plakate, Aufkleber, Schlüsselanhänger und Spiele orchestrierten die Apfel-Kampagne. Der Erfolg: Längst hat Juliet ihr Heimatland Frankreich verlassen und wird auch in Italien und Neuseeland angebaut. Tendenz: weiter wachsend. Eine weitere Geschichte fürs Legendenbuch des Marketings als omnipotenter BWL-Kerndisziplin für Macher. Volkswirtschaftlich betrachtet ist Marketing nicht einfach bloß das Synonym für Werbung, sondern zuständig für Produkt- und Preisgestaltung, Vertriebsorganisation und Marktkommunikation. Nach Angaben des Zentralverbands der Deutschen Werbewirtschaft (ZAW) arbeiten rund 914.000 Menschen in diesem Bereich. Darin enthalten sind etwa 364.000 Beschäftigte in der Digitalwirtschaft. „Hier sind auch viele technische Berufe erfasst, die eigentlich nicht zum Kernbereich der Werbewirtschaft gehören“, erläutert ZAW-Sprecher Volker Nickel. Und er schiebt noch eine Zahl nach: Knapp 30 Milliarden Euro wurden im Jahr 2011 allein in Deutschland in Werbemittel investiert.
Riesige Gehaltsspannen
Am Investitionsvolumen hängt naturgemäß auch die Vergütung der Fach- und Führungskräfte im Marketing: Die Grundgehälter sind in den vergangenen beiden Jahren jeweils um zwei Prozent gestiegen. Das geht aus der aktuellen Vergütungsstudie „Führungs- und Fachkräfte in Marketing und Vertrieb“ der Managementberatung Kienbaum hervor. Daten aus knapp 500 Unternehmen und 5.250 Einzelpositionen wurden hierzu analysiert. Allerdings nahm bei steigender Gesamtvergütung auch die Bedeutung variabler Gehaltsbestandteile zu: 90 Prozent der Führungs- und 85 Prozent der Fachkräfte haben inzwischen erfolgsabhängige Vergütungsbestandteile.
Leiter des Gesamtbereichs Marketing und Vertrieb sind mit durchschnittlichen Jahresgesamtbezügen von 147.000 Euro die Spitzenverdiener, gefolgt von Vertriebsleitern mit 139.000 Euro. Am wenigsten verdienen Junior-Produktmanager mit 49.000 Euro. Die Spanne der Gesamtbezüge in Marketing und Vertrieb ist insgesamt sehr groß: Bei Führungskräften reicht sie von weniger als 50.000 Euro bis weit mehr als 300.000 Euro, bei Fachkräften von weniger als 30.000 bis mehr als 200.000 Euro.
Je größer das Unternehmen ist und je besser die Abschlüsse des Einzelnen sind, desto mehr lässt sich im Marketing verdienen. Etwa vier Fünftel der Befragten gaben an, von ihren Arbeitgebern einen Dienstwagen gestellt zu bekommen.
Das aktuelle Deutsche Marketing-Barometer des deutschen Marketingverbandes belegt: Marketeer blicken vorsichtig optimistisch in die Zukunft, mit einem Wert von 23 im Gesamt-Index für das 1. Quartal 2012. Aufgesplittet nach Auftragnehmern und Auftraggebern zeigt sich, dass die Auftraggeber von Marketingleistungen das Geschäftsklima mit einem Indexwert von 19 zurückhaltender bewerten, während die Auftragnehmer mit einem Index von 26 positiver auf die Geschäftsentwicklung schauen.
Der Blick in die aktuellen Geschäftszahlen stimmt Marketing-Manager zufrieden: 44 Prozent antworten auf die Frage nach der derzeitigen Geschäftslage ihrer Unternehmen mit gut, weitere 13 Prozent mit sehr gut. Vorsichtiger ist die Einschätzung allerdings mit Blick auf den weiteren Verlauf des Jahres 2012. So prognostizieren 42 Prozent die eigene Geschäftsentwicklung in dieser Zeit mit „gleich bleibend“ und immerhin noch 38 Prozent mit „günstiger“. Dem gegenüber steht die Meinung von 55 Prozent, dass die Marketing-Ausgaben der Auftraggeber beziehungsweise des eigenen Unternehmens gleich bleiben und noch 32 Prozent gehen von einer Steigerung aus.
Die Stimmung sei hoffnungsvoll, sagt Karl Georg Musiol, Präsident des Deutschen Marketing-Verbands e. V. (DMV). „Gerade jetzt ist es wichtig, die Marketingaktivitäten kontinuierlich auszubauen und so die Unternehmensziele mitzutragen und Chancen zu erkennen. Es muss ein starkes, positives Signal von Auftragnehmern und Auftraggebern gesetzt werden.“
Wie kaum eine andere Disziplin ist Marketing geeignet, unterschiedliche Unternehmensabteilungen zusammenzuführen. Marketing-Manager müssen ihre Produkte, ihre Märkte, ihre Zielgruppen genau kennen. Sie bestimmen über die adäquaten Vertriebsformen und die geeignete Marktkommunikation. Thorsten Klapproth, Vorstandsvorsitzender der WMF AG verlangt von seinen Marketingmanagern, dass sie kurzfristige Trends nutzen, dabei die Langfristperspektive aber nicht verlieren: „Marketing ist nicht nur dem ,Kunden aufs Maul zu schauen’ und zu sehen was die Kunden aus der Vergangenheit erwarten, sondern auch zu antizipieren, wo die Reise hin geht und wie man den Wert der Marke durch Produktvielfalt und Ergänzung steigern kann.“
Die Krise treibt die Verbraucher zurück zu starken Marken. Gesucht werden Unternehmen und Produkte, denen man vertrauen kann. Die Methoden und Instrumente zur Ermittlung von Kundenwünschen mündeten in der „Planungsumfrage 2012“ des Deutschen Marketing-Entscheider-Panels in einer Prioritätenliste für die Praxis. Danach landeten eigene Kundenbefragungen mit 44 Prozent auf dem ersten Platz, gefolgt von externer Marktforschung. Der Wert für Online-Methoden hatte sich verdoppelt. Der Mitteleinsatz im Mediamix sollte sich nach Meinung von 40 Prozent der Befragten weiter ins Internet verschieben. Wobei Print, Messen/Events und Direktmarketing auf den weiteren Rängen folgten. Digitalisierung und Social Media sind der Megatrend.
Dominique Turpin, Präsident des International Institute for Management Development, IMD, schreibt dem Marketing neben einem Verständnis für digitale Trends und Social Media folgende Erfolgsfaktoren ins Stammbuch: echte Kundenorientierung, den adäquaten Umgang mit der Polarisierung der Märkte, bei der mittlere Preisbereiche zu Lasten von Discount-Lagen und absolutem Luxus verlieren. Eine zielgerichtete Markenentwicklung mit starken eigenen Innovationen, die eine Unique Selling Proposition, also ein markantes Unterscheidungsmerkmal bilden zum Wettbewerb. Und ein Verständnis für die neuen Global Player aus Asien und Südamerika.
Marketeer beanspruchen „Licence to lead“
In der internen Werteskala der Unternehmen machen unverändert Marketingexperten für sich die Lizenz zum Führen, die „licence to lead“ geltend: Sie verknüpfen also ihren Führungsanspruch mit der Forderung, modernes Marketing sei längst zu einem eigenen Wert für die Unternehmen geworden. Denn: Man habe sich aus den Niederungen der Verantwortung für Umsätze, Erlöse und Profite erhoben zu Hütern des Wertemanagements. Nur Unternehmen, die glaubwürdig für echte Werte einstehen, hätten eine Zukunft. Den Marketingtrend schlechthin gibt es nicht. Das Zukunftsinstitut von Matthias Horx hat die nach eigenen Angaben 50 relevantesten Trends zusammengetragen. Die Autoren stellen fest: Am Ende wolle jeder Verbraucher die auf ihn maßgeschneiderte Ansprache für jedes Produkt erhalten.
Mit neuen Kennzahlenkarten und Methoden versuchen Controller zugleich, die Nebel über dem Marketing zu lichten und für mehr Erfolgskontrolle und Transparenz zu sorgen. Hohe Werbeausgaben schulterzuckend zu rechtfertigen, man wisse ja nicht welche Hälfte davon verschwendet sei, gehört eindeutig der Vergangenheit an. Marketing ist messbar geworden. Und das tut manchmal weh.
Allein mit einer halb-kreativen Idee und einem üppigen Budget kommen moderne Marketing-Manager nicht mehr weit. In Krisenzeiten werden alle Budgets kritisch hinterfragt. Und – shocking – mittlerweile muss sich der Erfolg des Marketings an Kennzahlen messen lassen. Kollegen, die lange in der Wahrnehmung der Marketingleute „ordinäre Einkäufer“ waren, verhandeln und ordern nun Marketingdienstleistungen, die früher nach einer knackigen 18er-Runde auf dem Golfplatz freihändig vergeben wurden.
Die Individualisierung von Zielgruppen, die Zersplitterung der Medienkanäle, die durch den Einsatz digitaler Medien wachsende Beschleunigung bis hin zum Live-Dialog, die wachsende Datenfülle machen es zunehmend schwer für Marketeers, den Überblick zu behalten. Für jede Strategie lassen sich mindestens fünf Gegenentwürfe aufstellen und sauber begründen. Mögen eloquente Marketinggurus darin eine Zeit lang ihre Chance sehen, so wachsen bei manchen CEOs die Zweifel daran, dass Marketingexperten tatsächlich diejenigen sind, die ihr Unternehmen in eine erfolgreiche Zukunft führen können.
Für Akademiker, die im Marketing erfolgreich sein wollen, heißt das: ohne kompromisslose Zahlenorientierung und die Bereitschaft, alle ergriffenen Maßnahmen vorbehaltlos zu controllen, geht es nicht. Kreativität und gute Ideen sind eine gute Voraussetzung, aber bei weitem nicht mehr hinreichend. Der alte Dauerkonflikt zwischen Marketing und Controlling ist längst von der Zeit überholt und durchbrochen. Zusammenarbeit ist hier mehr angesagt denn je.
Dirk Neubauer
Jobguide Marketing & Vertrieb
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