MINT-Branchen: Automobil
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Die Lust auf deutsche Nobelkarossen
Die deutsche Autoindustrie will 2012 weiter wachsen. Auch wenn die Krise den Europäern den Autoverkauf verleiden sollte, bleiben die Jobaussichten gut. Denn drei von vier Fahrzeugen gehen heute schon in den Export und die Lust auf Karossen aus Deutschland ist weltweit ungebrochen.
Die Chancen:
Das Jahr 2011 war ein Jahr der Superlative für die deutsche Autobranche. Mehr als sechs Millionen Autos bauten deutsche Hersteller hierzulande – ein absoluter Rekord. Drei von vier der hier produzierten Autos, rund 4,5 Millionen Stück, gingen in den Export – ebenfalls Rekord. Knapp 360 Milliarden Euro setzten die Hersteller inklusive Importeure um – wiederum Rekord. Absolute Spitze war die Autoindustrie 2011 auch als Jobmotor. Audi, BMW & Co. schufen mehr als 24.000 neue feste Stellen. Aktuell arbeiten 730.000 Festangestellte und zusätzlich noch 60.000 Zeitarbeiter in der deutschen Vorzeigeindustrie.
2012 erwartet die Branche global ein weiteres Wachstum von vier Prozent. Haupttreiber der drei glorreichen Autogiganten VW, Daimler und BMW ist die Lust auf Luxus bei der aufstrebenden Mittelschicht in den fernen Boomländern. Sie hat den Ökoschlafmützen eine Schonfrist verschafft. Mit neuen Technologiepartnern können sie sich nun auf das neue Zeitalter der kleineren, sparsameren Modelle einstellen.
Um den Sprung in die Welt der umweltverträglicheren Mobilität zu schaffen, benötigen die Autokonzerne auch hierzulande weiterhin fachkompetentes Personal. Der Volkswagenkonzern beispielsweise, der bis 2018 weltgrößter Autobauer werden möchte, will bis dahin 65.000 weitere Mitarbeiter einstellen, um seine Produktion von derzeit acht auf zehn Millionen Autos zu steigern. 6.000 Jobs sollen dabei in Deutschland entstehen. Daimler hat vor, in Stuttgart bis Ende 2012 fast eine Milliarde Euro zu investieren und Porsche plant bis 2018 seine Belegschaft allein in Deutschland jedes Jahr um rund 1.000 Köpfe aufzustocken.
Akademiker haben also in der Branche weiterhin beste Karrierechancen. Das zeigt auch die Statistik der Stellenmärkte: Von 2010 auf 2011 nahm die Zahl der Positionen, die die S+H Medien Statistik in 40 Tageszeitungs-Stellenmärkten und zehn Online-Jobbörsen zählte, um fast 80 Prozent zu. Dabei waren über ein Zehntel der Positionen in Forschung und Entwicklung angesiedelt, wo sich die Zahl der ausgeschriebenen Positionen innerhalb nur eines Jahres verdoppelte. Am zweithäufigsten gab es Offerten in der Produktion, wo sogar deutlich mehr als doppelt so viele Stellen zu vergeben waren als noch 2010.
Dabei schreibt die Branche vor allem Expertenpositionen aus – fast siebenmal mehr als Führungspositionen – und sucht in Fachzeitschriften und über Headhunter händeringend nach den Fachleuten mit dem richtigen Mix an Qualifikationen.
Die Grundstimmung der großen deutschen Hersteller ist also optimistisch: Weltweit sind sie auf allen großen Märkten vertreten und profitieren davon, dass der Verkauf von Premiumfahrzeugen weniger stark von Konjunkturschwankungen abhängt. „Der Erfolg der deutschen Big Three im Premiummarkt ist ein weltweites Phänomen“, urteilt Stefan Lippert, Managementprofessor an der Temple-Universität in Tokio. In Japan beispielsweise profitieren die Deutschen vom starken Yen, der eine Aggressivität an der Preisfront, wie die Branche Rabatte höflich umschreibt, zulässt, ohne dass die Rendite leidet. Noch wichtiger ist der mittlerweile weltgrößte Automarkt China, auf dem deutsche Luxusautos gerne und viel gekauft werden.
Die neuen Mitarbeiter dürfen sich unter anderem die Köpfe darüber zerbrechen, wie sie den klassischen Verbrennungsmotor um 25 Prozent sparsamer machen. Gleichzeitig gewinnen aber auch andere Technologien auf dem Weg zum bezahlbaren Nullemissionsauto nach und nach an Bedeutung. „Wir sind gut beraten, wenn wir mit mehreren Technologien gleichzeitig, also dem optimierten Verbrennungsmotor, dem Elektroantrieb, der Brennstoffzelle und dem Hybridantrieb, in die Zukunft gehen“, beschreibt Matthias Wissmann, Chef des Verbands der Deutschen Automobilindustrie (VDA), die Aufgabenstellung für das nächste Jahrzehnt.
Neben dem Elektroauto hat sich klammheimlich die Brennstoffzelle wieder als interessante Alternative in den Vordergrund geschoben. Schon allein deshalb, weil sich in den USA im Sommer 2011 die gerade ausgelieferten Elektroautos von Chevrolet selbst entzündeten. Ein herber Rückschlag, musste Chevrolet die Modelle doch zurückkaufen – und Schwesterkonzern Opel den Verkaufsstart für den baugleichen Opel Ampera auf unbestimmte Zeit verschieben.
Neben der höheren Sicherheit ist die schnellere Betankung ein weiterer Vorteil, den das Wasserstoffauto gegenüber dem Batteriefahrzeug hat. „Während man die Batterie für ein E-Auto lädt, kann man Tolstois ‚Krieg und Frieden’ lesen. Das Befüllen eines Wasserstoffautos dauert dagegen gerade mal so lange wie ein kurzes Twittern“, meint Daimler-Chef Dieter Zetsche. Sein eigener Konzern produziert zwar selbst auch Pkw und Nutzfahrzeuge mit Batteriestrom. Der Autoboss traut aber dem Wasserstoffauto mit Brennstoffzelle ein ebenso großes Potenzial zu und lässt deshalb ein Team von mehr als 400 Ingenieuren an der Technologie forschen. Bis spätestens 2014 will er die Brennstoffzelle zur Marktreife bringen und in Großserie verkaufen – möglichst noch vor den Konkurrenten Toyota, BMW und Ford, die ebenfalls daran arbeiten.
Passend zu den Technologien sind Ingenieure, die Kompetenz in Mechatronik und Elektrotechnik mitbringen, gesuchte Leute, aber auch elektro-chemisches Know-how ist hoch willkommen. Und weil das Wasserstoffauto auch ein flächendeckendes Tankstellennetz braucht, suchen die Zulieferer und Kooperationspartner der Autokonzerne – zum Beispiel der Gasproduzent Linde – Ingenieure mit Know-how in Verfahrens- und Energietechnik, in Thermodynamik und Chemie. Sie sollen Anlagen zur Erzeugung, Speicherung und zum Transport von Wasserstoff entwickeln.
Der hohe Innovationsdruck in der Automobilindustrie eröffnet technikbegeisterten Akademikern aber noch zahlreiche weitere Aufgabenfelder. Etwa in der Entwicklung sogenannter Human-Machine-Interfaces (HMI), also Schnittstellen zwischen Mensch und Maschine. Was Hollywood noch als Science Fiction verkauft, ist längst schon Realität: Autos, die auf Sprachbefehle hören und auf Bewegungen der Hände und Arme reagieren.
Längst sind Autos zu High-Tech-Computern geworden: Kameras und Sensoren überwachen den Raum vor, neben und hinter dem Fahrzeug, geben Warnungen an den Fahrer weiter und greifen, wenn der in Gefahrensituationen nicht reagiert, automatisch in das Geschehen ein. Die vielen Schalter und Knöpfe am Lenkrad, in der Mittelkonsole und am Armaturenbrett wirken da fast antiquiert. Dass auch sie verschwinden können, daran arbeiten HMI-Experten intensiv. Ihre Aufgabe ist es, die Bedienung des Autos in Zeiten zunehmender Assistenzsysteme so einfach wie möglich zu gestalten – auch weil die Autokäufer immer älter werden. Lag 1995 das Durchschnittsalter eines Autofahrers in Deutschland bei 46 Jahren, liegt es heute schon bei 51. Und die ältere Klientel liebt elektronische Helfer wie automatische Einparksysteme, Abstandswarner und Notfallbremsassistenten. Um sie zu entwickeln, brauchen Hersteller und Zulieferer wie Bosch, Continental oder Bertrandt Experten, die sich in Engineering, Grafikdesign und in der kognitiven Psychologie auskennen. Gute Chancen haben hier neben Ingenieuren auch Softwareentwickler, Elektroniker, Grafik- und Produktdesigner sowie Psychologen.
Erfreulich: Deutsche Autos werden nicht zuletzt deshalb gekauft, weil die Ingenieure selbst einem Sportboliden das Image eines Saubermanns und Spritsparers verleihen können. Der neue Porsche 911 mit 350 PS verbraucht gerade mal 8,2 Liter, ist aber 287 km/h schnell. Kein Wunder, dass die deutsche Autoindustrie nach eigener Einschätzung in Sachen Effizienzsteigerung schneller vorankommt als die Wettbewerber. So senkten die Hersteller den Durchschnittsverbrauch aller neu zugelassenen Fahrzeuge um vier Prozent auf 5,8 Liter, der Schadstoffausstoß fiel auf 144 g/km CO2. Ab 2012 greifen neue Vorgaben der EU-Kommission. Dann müssen 65 Prozent der Neuwagenflotten den Zielwert von 130 Gramm CO2 je Kilometer erreichen, ab 2015 müssen es dann alle Fahrzeuge schaffen – eine Tüftelaufgabe für die Forschungsabteilungen.
Die Risiken:
Das stagnierende Geschäft in Westeuropa, die gesunkene Nachfrage in Südeuropa und die ungelöste Eurokrise bereiten der Autobranche Kopfschmerzen. Obwohl ihre Auftragsbücher immer noch gut gefüllt waren, die Bänder auf Hochtouren liefen und sie teils die Weihnachtsferien verkürzen mussten, um ihre Kunden nicht so lange warten zu lassen, stellten sich die Autobauer und ihre Zulieferer bereits Ende 2011 auf stärkeren Gegenwind ein. Vor allem für Opel, Renault, Fiat und PSA Peugeot Citroën, die vorwiegend in Europa verkaufen, dürfte es 2012 weniger glatt laufen. Der PSA Konzern (Peugeot/Citroën) kündigte schon während der IAA 2011 drastische Kostensenkungen in der Produktion an, um für eine Krise gewappnet zu sein. Und Ford verhandelte Ende 2011 mit den Gewerkschaften über das Zurückfahren der Produktion in einzelnen Werken.
Bei VW, Daimler und BMW hätte das Einbrechen der Konjunktur in Europa 2012 zwar keine unmittelbaren Folgen für die Beschäftigungszahlen. Statt wie im Krisenjahr 2008 Kurzarbeit anmelden zu müssen, könnten die Giganten erst einmal bei den vielen Sonderschichten ansetzen und die wieder gut gefüllten Arbeitszeitkonten abbauen. Ihnen bereitet jedoch der zunehmend aufkommende Protektionismus in den Schwellenländern Sorge. So erhebt China Einfuhrzölle von 25 Prozent, Argentinien verhängte Importrestriktionen und fordert nun die Kompensation von Importen durch Exporte in gleicher Höhe – und Indien verlangt schon mal bis zu 100 Prozent Zoll.
Wenn sich diese finanziellen Hürden nicht über Freihandelsabkommen beseitigen lassen, bleibt den Herstellern nur ein Weg, den sie schon jetzt beschreiten: die Errichtung eigener Produktionen in den Zielmärkten. Das aber geht langfristig nur auf Kosten der Arbeitsplätze in Deutschland. Bis 2020 droht der deutschen Autobranche am Standort Deutschland ein Verlust von 50.000 festen Stellen, prophezeit Autoprofessor Ferdinand Dudenhöffer. Hauptgrund – neben der Verlagerung ins Ausland – ist die zunehmende Automatisierung. Zeitgleich wird die Verschiebung der Machtverhältnisse in der Weltwirtschaft zugunsten Asiens auch dazu führen, dass um 2020 herum die in China aufkommende Konkurrenz im Autobau soweit sein wird, um ihrerseits die Weltmärkte mit Fahrzeugen Made in China zu fluten. Bislang sind deutsche Autohersteller gerade in den Schwellenländern noch erstklassig aufgestellt. Doch auch sie merken bereits, dass sich die Märkte dort nicht mehr ganz so einfach bearbeiten lassen wie bisher. Die Konkurrenz ist dichter geworden, denn erstens sind alle westlichen Wettbewerber inzwischen in China und Indien präsent. Zweitens zeigt die asiatische Industrie den Herstellern ihre Zähne. Und drittens rechnen Experten in China nach explosiven Wachstumsraten von fast 50 Prozent 2012 mit nur noch fünf Prozent Wachstum.
Aber auch auf dem deutschen Heimatmarkt lässt die Kauflust nach, nachdem die staatlichen Kaufanreize bei Kleinwagen weggefallen und die Spritkosten historisch hoch sind sowie das Wirtschaftswachstum sich deutlich verlangsamt.
Gedanken muss sich die Autoindustrie hierzulande außerdem über die junge Generation machen. Bei ihr hat das Auto als Statussymbol nämlich ausgedient. Ob jemand angesagt ist, machen Jugendliche heute am Besitz der neuesten Smartphone-Generation fest. Zudem benutzen sie gerne öffentliche Verkehrsmittel, weil sie die hohen Anschaffungskosten für ein eigenes Auto ebenso scheuen wie mangelnde Parkmöglichkeiten in den Innenstädten. Wenn junge Führerscheinbesitzer tatsächlich mal ein Auto brauchen, werden sie immer öfter Carsharing-Kunden, von denen es bereits knapp 200.000 bundesweit gibt.
Allerdings hat die Autoindustrie darauf schon reagiert und neue Geschäftsmodelle auf die Beine gestellt: Carsharing- und Mietkonzepte – etwa Mu von Peugeot, Car2go von Mercedes oder „Drive now“ von BMW und Sixt – finden sich bei immer mehr Autoherstellern. So kommen die Konzerne nicht nur frühzeitig in Kontakt mit der jungen Zielgruppe, sondern können auch ihr Kerngeschäft langfristig neu ausrichten: weg vom reinen Verkauf von Autos, hin zum Verkauf von Mobilität.
Julia Leendertse
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