MINT-Branchen: Energie

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Zukunftsprojekt Energiewende

In der Rekordzeit von zehn Jahren will Deutschland als erstes Industrieland der Welt seine Energiewirtschaft von Atom- auf grünen Strom umstellen. Für die Energiewende braucht es Offshoreparks, Windkraft-, Biomasse- und Solaranlagen, Gaskraftwerke, Speichersysteme und Stromnetze. Und Fachkräfte, die diese entwickeln, bauen und betreiben.

Die Chancen:

Wirtschaftswachstum, stabile Energieversorgung und Klimaschutz lassen sich offensichtlich doch unter einen Hut bringen: Sieben von 17 Atommeilern in Deutschland gingen 2011 vom Netz, die Wirtschaft wuchs um drei Prozent, und das obwohl Industrie und Energiewirtschaft hierzulande – errechnete das Umweltbundesamt — gleichzeitig rund 4,5 Millionen Tonnen weniger Kohlendioxid erzeugten als 2010. Doch vor den Erfolg haben die Götter bekanntlich den Schweiß gesetzt.

Damit die Energiewende langfristig gelingt, stehen Politikern, den großen Energiekonzernen, Stadtwerken, Anlagebauern, Projektplanern, Speichertechnik-Herstellern, Netzbetreibern und Ökostromanbietern noch jede Menge Investitionen und Arbeit ins Haus. Das sind gute Nachrichten für Ingenieure aus Maschinenbau und Elektrotechnik, für Betriebswirte, Logistiker, Agrarwissenschaftler, Biologen und Geologen, die mit ihrem Know-how beim Zukunftsprojekt Energiewende gefragte Leute sind. Darüber hinaus können auch Physiker, Chemiker, Elektroniker, Mechatroniker und Halbleiterspezialisten ihr Wissen einbringen. Denn Investitionen bedeuten auch immer neue Jobs.

Bis zum Jahr 2020 sollen in Deutschland mindestens 35 Prozent des Stroms aus regenerativer Energie gewonnen werden. In den folgenden drei Jahrzehnten soll der Anteil der Erneuerbaren bis auf 80 Prozent hochgefahren werden, spätestens 2022 soll kein einziger Atommeiler mehr am Netz sein. Allein um die Stilllegung und den Rückbau der Kernkraftwerke zu stemmen, benötigen Atomkraftwerksbetreiber wie Eon, RWE und EnBW einige Tausend Ingenieure. Rund 367.000 Menschen arbeiten laut Bundesverband Erneuerbarer Energien (BEE) heute bereits in der Wind-, Solar- und Biomasseindustrie. 2020 sollen es insgesamt 500.000 sein.

Eine Gelddruckmaschine ist die Energiewende jedoch auch für Anbieter aus dem Bereich Erneuerbarer Energien indes nicht. Das bekommt zurzeit die Solarindustrie zu spüren, in der sich mit Q-Cells, Solon und First Solar die einstigen Pioniere der Billigkonkurrenz aus China geschlagen geben müssen. Dagegen boomt das Geschäft derer, die ganze Energieparks planen und bauen lassen sowie Dienstleistungen rund um die grüne Energie anbieten. Zum Beispiel bei Juwi, einem Projektentwickler aus Wörrstadt bei Mainz, der rund um den Globus Solar-, Wind- und Biomasse-Anlagen plant und errichtet. Allein 2011 wuchs Juwi um 500 auf 1.800 Mitarbeiter und der Umsatz stieg auf eine Milliarde Euro.

Für die Platzhirsche der Energiewirtschaft RWE, Eon, Vattenfall und EnBW — das Quartett, das über Jahre den deutschen Energiemarkt beherrschte, bringt die Wende wohl die größten Herausforderungen mit sich. Sie müssen ihre großen Renditebringer, die neun noch laufenden deutschen Atomkraftwerke, abschalten und auf ein für sie recht neues Terrain vordringen: die Welt der Erneuerbaren Energien. Eon kommt derzeit konzernweit auf einen Anteil der Erneuerbaren von zehn Prozent. EnBW schafft es auf elf Prozent, RWE auf vier Prozent.

Die wichtigsten Innovationen erwarten die Energieversorger in den Bereichen Smart Grid, Smart Metering, E-Mobility und Energieeffizienz. Smart Grids, intelligente Stromnetze, gelten mittlerweile als Voraussetzung für die Energieversorgungsstruktur der Zukunft, während die Smart Meter, die intelligenten Zähler, die Basis für Transparenz über Verbrauch und dezentrale Einspeisung sind. Dazu braucht die Branche nicht nur findige Köpfe, die diese Innovationen vorantreiben, sondern auch Menschen, die die Verbraucher beraten.

Denn die Anbieter stecken in einem Dilemma — sie müssen Strom verkaufen und sind verpflichtet, die Kunden bei der Energieeinsparung zu beraten. "Wenn es ihnen aber gelingt, mit Hilfe neuer Geschäftsmodelle Beratungs- und Servicedienstleistungen zur eigenen Kernkompetenz zu machen", sagt Stephan Werthschulte, Accenture-Geschäftsführer im Bereich Energieversorgungswirtschaft, "können sie das Dilemma umgehen und sich erfolgreich als innovative Anbieter positionieren."

Dass bahnbrechende Innovationen möglich sind, wenn der Markt nur laut genug nach praktikablen und vor allem bezahlbaren Lösungen schreit, beweist die neue Technik der Hochspannungs-Gleichstrom-Übertragung (HGÜ). Sie könnte die Leistungsfähigkeit des bereits vorhandenen deutschen Höchstspannungsstromnetzes enorm beschleunigen und den Netzausbau erheblich preiswerter machen. Bestehende Masten und Leitungen würden so umgerüstet, dass über sie doppelt so viel Windstrom aus dem Norden ohne Verlust über Hunderte Kilometer nach Süden transportiert werden könnte. Der Netzbetreiber Amprion hat die HGÜ vor kurzem an einer Versuchsanlage in Datteln erfolgreich getestet. Im Gegensatz zu dem bisherigen Übertragungsnetz würde die Übertragung nach dem Prinzip der Punkt-zu-Punkt-Verbindung funktionieren, käme also einer Stromautobahn mit einer Auf- und Ausfahrt gleich. Der Netzbetreiber aus Dortmund ist von seinem Konzept so überzeugt, dass er die neue Leitung gerne bis 2019 fertigstellen würde. Was jetzt nur noch fehlt, ist ausreichend Windstrom im Norden und die Genehmigungen der Behörden.

Die Risiken:

Der Umbau der Stromwirtschaft produziert leider auch Verlierer. Konzerne, die Atom- und Kohlekraftwerke betreiben, bauen Tausende von Jobs ab, weil der plötzliche Ausstieg aus der Kernkraft gigantische Summen an Mindereinnahmen und Kosten verursacht. Europas größter Energieriese Eon streicht allein 2012 in Deutschland 6.000 von 40.000 Stellen — vor allem in der Verwaltung. RWE baut 8.000 Jobs ab, EnBW 2.500 und auch Vattenfall spart. Und um in den Wandel investieren zu können, müssen sich auch viele der rund 700 Stadtwerke verschlanken.

Die Stadtwerke würden gerne so schnell wie möglich den Kraftwerkspark in Deutschland modernisieren und dezentralisieren. Aber: "Was fehlt, ist die zentrale Koordination. Die Bundesregierung begreift die Energiewende noch nicht als Projekt, das aktiv auch im Kleinen gemanagt werden muss", moniert Stadtwerke-Lobbyist Hans-Joachim Reck.

Zum Beispiel ist noch unklar, wie fossile Kraftwerke ihr Geld einspielen können. Weil immer mehr Privathaushalte, Landwirte und Gewerbetreibende Solardächer installieren, kommt immer mehr grüne Elektrizität ins Netz, die feste Subventionen erhält und den Strom aus Kohle- und Gaskraftwerken verdrängt. Neue fossile Kraftwerke sind deshalb schlicht nicht mehr wirtschaftlich, wenn sie ihren Strom frei an der Börse verkaufen müssen. Dadurch ist in der Stromwirtschaft das Interesse am Bau neuer fossiler Kraftwerke, die als Ersatz für die abgeschalteten Atommeiler und als Puffer für die Kapazitätsschwankungen der wetterabhängigen Energie aber dringend benötigt werden, auf den Nullpunkt gesunken. Im Gespräch ist deshalb ein sogenannter Kapazitätsmarkts, bei dem auch ruhende Kraftwerke Geld erhalten, weil es wichtig ist, dass sie bei Engpässen bereitstehen.

Als Prüfstein für die Energiewende entpuppen sich auch die Offshore-Windparks vor der deutschen Küste. Bis 2020 sollen vor allem in Nord- und Ostsee Windränder installiert werden, die bei optimalem Wind so viel Strom erzeugen könnten wie zehn Atommeiler — wäre da nicht das Problem mit dem Stromnetz.

Eigentlich sollte der niederländische Stromnetzbetreiber Tennet dafür sorgen, die Nordseeprojekte anzuschließen, weil sie an sein Hochspannungsnetz grenzen, das schlauchartig von der dänischen Grenze bis nach Bayern reicht. Tennet fehlt jedoch das Geld dafür. Die Hochsee-Investoren rechnen deshalb damit, dass sich ihre Projekte um Jahre verzögern, wenn nicht die Staatsbank KfW einspringt. Dies ist aber nur ein Beispiel von vielen, warum Skeptiker befürchten, dass ohne einen Masterplan die Stromwirtschaft in eine Krise zu laufen droht.

Julia Leendertse

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