MINT-Branchen: Hightech - Engineering - Maschinenbau
- Foto: Andreas Stihl
Vom German Overengineering zum Gut-Genug-Markt
Der ganz große Boom des deutschen Maschinenbaus hat sich vorerst verabschiedet. Doch nur Pessimisten sprechen vom Abschwung. Deutschlands Vorzeige-Industrie kann ihre Spitzenposition verteidigen. Das Klima im globalen Wettbewerb ist jedoch eisig. Um China auf dem Weltmarkt Paroli bieten zu können, brauchen die Unternehmen qualifiziertes Personal.
Die Chancen:
Deutschlands Maschinenbau rechnet 2012 mit Nullwachstum. Was nach Krise klingt, ist eher Jammern auf hohem Niveau. Nach dem Rekordjahr 2008 mit 196 Milliarden Euro Umsatz ging es für Deutschlands Vorzeigeindustrie nach dem Absturz der gesamten Weltwirtschaft vor zwei Jahren 2011 bereits wieder steil nach oben.
188 Milliarden Euro setzten die rund 8.000 vorwiegend mittelständisch geprägten Betriebe im vergangenen Jahr um. Und 2012 sollen es eben "nur" wieder 188 Milliarden Euro Umsatz werden. Vor allem die Krise in den europäischen Nachbarländern und die leichte Flaute in China hat den rund 950.000 Mitarbeitern der Branche eine kleine Verschnaufpause beschert.
Nur Pessimisten sprechen vom Abschwung. Nach Einschätzung des Verbandes Deutscher Maschinen- und Anlagenbau (VDMA) soll der Knick bei den Auftragseingängen, den die Maschinenhersteller zum Jahreswechsel 2011/2012 ausmachten, bereits im zweiten Halbjahr 2012 überwunden sein.
Das ist gut für die Jobs — sie gelten als sicher. Rund 35.000 neue Mitarbeiter stellte die Branche 2011 ein. Angesichts des erwarteten Nullwachstums sollen 2012 unterm Strich zwar keine neuen Arbeitsplätze aufgebaut werden. Dennoch verzeichnete der Maschinenbau im Frühjahr 2012 15.000 offene Stellen, darunter 7.000 Jobs für Ingenieure.
Zudem befindet sich der Maschinenbau nicht in allen Segmenten in einer Phase der Stagnation. Während beispielweise die Werkzeugmaschinenbauer mit Anlagen für den Autobereich kaum nachkommen und 2012 von einem Plus von fünf Prozent ausgehen, rechnen die Produzenten von Holzbearbeitungsmaschinen sowie die Hersteller von Textilmaschinen mit einem schwächeren Bestelleingang. Der wichtigste Abnehmer China hat seine Kreditschleusen für diesen Bereich zwar wieder geöffnet, aber es dauert, bis das in Form von Cash-Flow bei den Herstellern ankommt.
Nach Schätzung der Unternehmensberatung Roland Berger wird es noch bis 2013 dauern, bis die Branche insgesamt wieder an das außergewöhnlich hohe Umsatzniveau von 2008 anknüpfen kann. Drei Megatrends erfordern auf dem Weg dahin den Umbau der bisherigen Geschäftsmodelle:
1. Wer im Maschinenbau an der Weltspitze mitmischen will, muss am Wachstum in China beteiligt sein — mit Produktionsstätten vor Ort, aber auch lokaler Forschung und Entwicklung.
2. Standardmaschinen werden heute in vergleichbarer Qualität in Fernost gefertigt, aber zu weitaus günstigeren Preisen. Das mittlere Preissegment wächst am stärksten und wird zum globalen Spielfeld. Lediglich Maschinen mit sehr hoher Technologie und geringer Stückzahl können weiter ausschließlich in Deutschland gefertigt und von hier aus in alle Welt exportiert werden.
3. Rohstoff- und Energieverknappung fördern den Trend zum Going Green.
Nicht nur ihre Berater, sondern auch die deutschen Maschinenbauer selbst haben längst erkannt, dass ein Weitermachen wie vor der Krise keine Alternative ist. Zwei Drittel der kleinen und drei Viertel der großen Maschinenbauer Deutschlands sind fest entschlossen, ihren Auslandsumsatz weiter auszubauen, auch wenn der Export im Branchendurchschnitt bereits heute 75 Prozent ausmacht.
Dabei ist der weltweit größte Abnehmer deutscher Ingenieurskunst China. Nach dem Motto "Es ist besser, selbst in die Höhle des Löwen zu gehen, als zu warten, bis der Löwe zu einem kommt" sind mittlerweile rund 500 deutsche Maschinenbaufirmen in der Volksrepublik aktiv — mit Verkaufsbüros, Servicepunkten, Repräsentanzen, Joint Ventures oder eigener Produktion. Allein 2011 wurden Maschinen im Wert von fast 19 Milliarden Euro nach China geliefert.
Diese Bilanz sollte aber keinen täuschen, denn China ist längst selbst der weltweit größte Hersteller von Maschinen und hat Deutschland von seinem Spitzenplatz verdrängt. Jetzt strebt der gelbe Riese an, den deutschen Ingenieuren auch in anderen Weltmärkten Konkurrenz zu machen. Und genau darin liegen die Chancen für den deutschen Maschinenbau. Wenn sie es nämlich den Chinesen gleich tun und auf den "Gut-genug-Markt" setzen. "Deutsche Kunden wollen oft besser sein, als es der Kunde fordert", sagt Hans-Jochen Beilke, Chef des baden-württembergischen Maschinenbauers EBM-Papst, der 1,3 Milliarden Euro mit seinen Ventilatoren umsetzt und in China mit 700 Mitarbeitern selbst fertigt. "Unsere Artikel müssen reibungslos funktionieren, aber es stört keinen chinesischen Kunden, wenn der Luftspalt im Ventilator einen Millimeter breiter ausfällt als im teureren Produkt — seines aber günstiger ist."
Statt weiter "German Overengineering" zu betreiben, geht es darum, das mittlere Qualitäts- und Preissegment rechtzeitig zu besetzen. 30 bis 40 Prozent beträgt der Preisunterschied. Über Rabatte für High-End-Maschinen ist das nicht zu erreichen. Auch ein paar Funktionen wegzulassen, ist keine Lösung. Es sind eigene Produktlinien nötig. Dabei dürfte solches Downgrading deutschen Unternehmen längst nicht nur auf dem chinesischen Markt neue Chancen eröffnen, sondern auch in anderen Schwellenländern wie in Afrika, Indien und in Südostasien.
Davon abgesehen sind die Deutschen in immerhin 18 von insgesamt 32 Teilbranchen des Maschinenbaus nach wie vor Weltmarktführer — etwa in der Fördertechnik, der Antriebstechnik, bei Werkzeugmaschinen, Landtechnik und auch bei Nahrungsmittel- und Verpackungsmaschinen. In elf weiteren Teilbranchen stehen sie auf Platz zwei oder drei. Kein anderes Land der Welt kann so viele Hidden Champions vorweisen, die als Technologieführer auf dem Weltmarkt den Takt vorgeben. Und keine zweite Volkswirtschaft verfügt über einen solch reichen Fundus an Know-how zu Querschnittstechnologien, Spezialmaschinen, Messtechniken, Apparaten und Anlagenbau.
Auch beim dritten globalen Megatrend, dem "Going Green", können deutsche Unternehmen ihre Innovationsfähigkeit in die Waagschale werfen. "Energieeffizienz wird in Europa und Japan an Bedeutung gewinnen, getrieben durch Kostensenkungen, Regulierung und die steigende Bedeutung eines umweltfreundlichen Images", sagt Roland-Berger-Experte Roland Eisenhut. Der deutsche Maschinenbau ist hier schon gut aufgestellt: Der VDMA prognostiziert, dass die Branche in zehn Jahren Einsparungen erzielen kann, die zur Stromversorgung von 80 Prozent aller Haushalte in Westeuropa ausreichen und die CO2-Emissionen in Deutschland um ein Drittel reduzieren können.
Die Risiken:
Größtes Risiko ist der zunehmende globale Turbo-Wettbewerb in nahezu allen Segmenten — insbesondere die neue Vormachtstellung Chinas. Fast ein Drittel der Weltproduktion von Maschinen kommt heute bereits aus der Volksrepublik. Das Land ist damit mit Abstand der größte Maschinenproduzent der Welt und der viertgrößte Maschinenexporteur — Tendenz stark steigend. In acht von 32 Teilbranchen ist China sogar schon heute die führende Exportnation — etwa in der allgemeinen Lufttechnik, der Klimatechnik, bei Baumaschinen, Kränen, aber auch bei Wälzlagern.
Der neue Fünf-Jahresplan der Chinesen (2011 bis 2015) spricht eine deutliche Sprache: Die Regierung in Peking will Chinas Wirtschaft weg vom Mengenwachstum hin zur Qualitäts-, Innovations- und Technologieführerschaft steuern. Der Maschinenbau gilt hierbei als Schlüsselbranche. Um unabhängig von ausländischen Technologien zu werden, pusht Peking gezielt einzelne Marktsegmente des Maschinenbaus, zum Beispiel die Produktion von Hydraulikbaggern oder von Kugellagern für Windanlagen, die bisher meist importiert werden mussten.
Chinas Regierung will aber noch mehr: Mit ehrgeizigen Übernahmeplänen, staatlich geförderten Exportversicherungen, großzügigen Finanzierungskrediten für die Kunden chinesischer Maschinenbaulieferanten und besonders preisgünstigen "Gut-genug-Produkten" will das Reich der Mitte die Weltmärkte erobern — und kommt dabei deutschen Maschinenbauunternehmen immer häufiger in die Quere. Der Riese aus Fernost ist schon lange nicht mehr die verlängerte Werkbank und profiliert sich mehr und mehr als Industrienation, die als High-Tech-Land in der obersten Liga mitspielt.
Gleich mehrere Perlen des deutschen Maschinenbaus verleibten sich chinesische Unternehmen im Frühjahr 2012 ein: den Weltmarktführer für Betonpumpen, Putzmeister aus Aichtal bei Stuttgart, dessen Konkurrenten Schwing aus Herne sowie den Automobilzulieferer Kiekert aus Heiligenhaus. Auch deutsche Maschinenbauer werden ihre Produktion weiter nach Fernost verlagern müssen.
Offen ist dabei, wie viel Innovation langfristig noch in den heimischen F+E-Abteilungen deutscher Unternehmen stattfinden wird. "Die Unternehmen müssen noch mehr Forschung und Entwicklung in die Schwellenländer transferieren", urteilt die Beratung Roland Berger. Für findige Köpfe im Maschinenbau heißt das, dass der künftige Arbeitsplatz nicht unbedingt in der Bundesrepublik sein muss. Wer auf eine spannende Karriere hofft, sollte daher in internationalen Kategorien denken — und sich auch so aufstellen.
Julia Leendertse
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